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Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Titel: Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dfg
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Mathematik?
Er habe es ja nicht gewollt, sagte Eugen. Er sei gezwungen worden!
Ach, und von wem?
Der Wechsel von Wetter und Jahreszeiten, sagte Humboldt, mache die eigentliche Schönheit dieser Breiten aus. Der Vielfältigkeit der tropischen Flora stehe in Europa das jährliche Schauspiel einer wiedererwachenden Schöpfung gegenüber.
Von wem wohl, rief Eugen. Wer habe denn einen Gehilfen für die Vermessung gebraucht?
Ein grandioser Gehilfe. Meilen um Meilen habe er zweimal messen müssen wegen all der Fehler.
Fehler in der fünften Nachkommastelle! Die hätten keinerlei Auswirkungen, die seien völlig gleichgültig.
Einen Moment, sagte Humboldt. Meßfehler seien nie gleichgültig.
Und der zerbrochene Heliotrop, fragte Gauß. Der sei dann auch egal?
Messen sei eine hohe Kunst, sagte Humboldt. Eine Verantwortung, die man nicht leichtnehmen dürfe.
Eigentlich sogar zwei Heliotropen, sagte Gauß. Den anderen habe zwar er fallen gelassen, aber nur weil ein Tölpel ihn auf den falschen Waldweg geführt habe.
Eugen sprang auf, griff nach seinem Knotenstock und der roten Mütze und lief hinaus. Die Wohnungstür knallte hinter ihm ins Schloß.
Das habe man davon, sagte Gauß. Dankbarkeit sei zu einem Fremdwort geworden.
Natürlich sei es nicht einfach mit jungen Menschen, sagte Humboldt. Aber man dürfe auch nicht zu streng sein, manchmal helfe etwas Ermutigung mehr als jeder Vorwurf.
Wo nichts sei, könne nichts werden. Und was den Magnetismus betreffe, so sei die Frage falsch gestellt: Es gehe nicht darum, wie viele Magneten es im Erdinneren gebe. So oder so erhalte man zwei Pole und ein Feld, das man durch die Stärke der Magnetkraft und den Inklinationswinkel der Nadel beschreiben könne.
Er habe immer eine Inklinationsnadel mitgeführt, sagte Humboldt. So habe er mehr als zehntausend Ergebnisse gesammelt.
Herr im Himmel, sagte Gauß. Schleppen reiche nicht, man müsse auch denken. Die horizontale Komponente der Magnetkraft lasse sich als Funktion der geographischen Breite und Länge darstellen. Die vertikale Komponente entwickle man am besten in einer Potenzreihe nach dem reziproken Erdradius. Einfache Kugelfunktionen. Er lachte leise.
Kugelfunktionen. Humboldt lächelte. Er hatte kein Wort verstanden.
Er sei aus der Übung, sagte Gauß. Mit zwanzig habe er keinen Tag für solche Kindereien gebraucht, heute müsse er sich eine Woche ausbitten. Er tippte sich an die Stirn. Das hier spiele nicht mehr mit wie früher. Er wünschte, er hätte damals Curare getrunken. Das Menschenhirn sterbe jeden Tag ein wenig ab.
Man könne soviel Curare trinken, wie man wolle, sagte Humboldt. Man müsse es in den Blutstrom träufeln, damit es töte.
Gauß starrte ihn an. Sicher?
Natürlich sei er sicher, sagte Humboldt indigniert. Er habe das Zeug praktisch entdeckt.
Gauß schwieg einen Moment. Was, fragte er dann, sei denn nun wirklich mit diesem Bonpland passiert?
Es werde Zeit! Humboldt stand auf. Die Versammlung warte nicht. Nach seiner Eröffnungsansprache gebe es einen kleinen Empfang für den Ehrengast. Hausarrest!
Wie bitte?
Bonpland stehe in Paraguay unter Hausarrest. Nach der Rückkehr habe er sich in Paris nicht mehr zurechtgefunden. Ruhm, Alkohol, Frauen. Sein Leben habe Klarheit und Richtung verloren, die einzige Sache, die einem nie passieren dürfe. Eine Zeitlang sei er Vorstand der kaiserlichen Ziergärten gewesen und ein wunderbarer Orchideenzüchter. Nach Napoleons Sturz sei er wieder über den Ozean. Drüben habe er einen Gutshof und Familie, aber in einem der Bürgerkriege habe er sich den falschen Leuten angeschlossen, oder eben den richtigen, auf jeden Fall den Verlierern. Ein verrückter Diktator namens Francia, ein Doktor auch noch, habe ihn auf seinem Hof festgesetzt und halte ihn unter ständiger Todesdrohung. Nicht einmal Simon Bolivar habe etwas für Bonpland ausrichten können.
Schrecklich, sagte Gauß. Aber wer sei der Kerl eigentlich? Er habe nie von ihm gehört.

Der Vater 
    Eugen Gauß irrte durch Berlin. Ein Bettler hielt ihm seine offene Hand entgegen, ein Hund winselte an seinem Bein empor, ein Droschkenpferd hustete in sein Gesicht, ein Schutzmann herrschte ihn an, nicht herumzugammeln. An einer Ecke kam er mit einem jungen Priester ins Gespräch, aus der Provinz wie er, ebenfalls sehr eingeschüchtert. Mathematik, sagte der Priester, interessant!
Ach, sagte Eugen.
Er heiße Julian, sagte der Priester.
Sie wünschten einander Glück und nahmen Abschied. Ein paar Schritte weiter sprach ihn eine Frau

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