Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
auch, aber denk nur: eine Seereise.«
Harry betrachtete seinen Freund und bemerkte eine Aufregung bei Nicholas, wie er sie noch nie gesehen hatte. »Du freust dich richtig darauf, nicht.«
»Du etwa nicht?«
Harry zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Crydee ist bestimmt ein verschlafenes Nest. Ich frage mich, ob es dort überhaupt Mädchen gibt.« Er grinste, und Nicholas reagierte darauf mit einer Grimasse. Nicholas war Mädchen gegenüber eher schüchtern, während Harry keine Hemmungen kannte. Dennoch war der Prinz gern dabei, wenn Harry mit den jüngeren Mädchen am Hof oder mit den Töchtern der Dienstboten anbändelte, weil er dachte, er könnte etwas dabei lernen – solange der Junker sie jedenfalls nicht belästigte wie gestern. Manchmal konnte Harry richtig betörend sein, doch oft war er für Nicholas’ Geschmack zu grob.
Nicholas sagte: »Vielleicht magst du die hiesigen Mädchen vermissen, aber ich fühle mich, als käme ich aus einem Käfig heraus.«
Harrys normalerweise stichelndes Gehabe verschwand. »Ist es so schlimm?«
Nicholas wandte sich von den Fußballspielern ab und machte sich zum Palast auf. Harry gesellte sich an seine Seite. Nicholas meinte:
»Ich bin immer der jüngste gewesen, und der schwächste … der Krüppel.«
Harry zog die Augenbraunen hoch. »Ah ja, der Krüppel … Ich habe mir bei den Fechtübungen mit dir mehr blaue Flecke und Schrammen geholt als mit allen anderen Gegnern zusammen, und ich habe dich in dem ganzen Jahr kaum öfter als zweimal getroffen.«
Nicholas lächelte schief, wobei er aussah wie sein Vater. »Du hast ein oder zwei Punkte gemacht.«
Harry zuckte mit den Schultern. »Sieh mal. Ich bin nicht schlecht, aber du bist außergewöhnlich. Wie kannst du dich da nur für einen Krüppel halten.«
»Gibt es in Ludland ein Fest der Präsentation?«
Harry meinte: »Nein, das gibt es nur in der fürstlichen oder königlichen Familie, nicht?«
Nicholas schüttelte den Kopf. »Nein. Früher wurde jedes adlige Kind dreißig Tage nach der Geburt dem Volk vorgestellt, damit die Leute sehen konnte, daß es ohne Makel war.
Dieser Brauch ist im Östlichen Reich schon lange nicht mehr üblich, doch im Westen war das anders. Meine Brüder wurden noch präsentiert, und auch meine Schwester – alle Kinder der fürstlichen Familie, bis auf mich.«
Harry nickte. »Also gut, dein Vater wollte dich nicht den Leuten zeigen. Was ist schon dabei?«
Nicholas zuckte mit den Schultern. »Es ist weniger, was man ist, es ist eher, wie dich die Leute behandeln. Ich bin immer so behandelt worden, als würde mit mir etwas nicht stimmen. Das macht es schwer.«
»Und glaubst du, das wäre in Crydee anders?« meinte Harry, während sie den Stadionbereich verließen und das Tor des Palastes erreichten.
Zwei Wachen salutierten dem Prinzen, als er vorbeiging, und Nicholas sagte: »Ich kenne meinen Onkel Martin nicht sehr gut, aber ich mag ihn. Ich glaube, ich werde in Crydee ein etwas anderes Leben führen.«
Harry seufzte, während sie den Palast betraten. »Ich hoffe, es wird sich nicht allzusehr von dem hier unterscheiden«, meinte er, als ein ziemlich hübsches Mädchen an ihnen vorbeihuschte. Er sah ihr nach, bis sie hinter einer Seitentür verschwunden war.
Nicky schüttelte niedergeschlagen den Kopf.
Die Ruderer legten sich in die Riemen, und die schweren Taue zum Heck des Schiffes strafften sich. Am Kai hatten sich Arutha, Anita und ein Heer von Hofbeamten versammelt, um Prinz Nicholas zu verabschieden. Anitas Augen glänzten feucht, doch sie hielt die Tränen zurück. Nicholas war ihr Kind, aber sie hatte schon mitansehen müssen, wie ihre drei anderen Kinder das Zuhause verlassen hatten. Dennoch hielt sie sich am Arm ihres Gemahls fest.
Nicholas und Harry standen in der Nähe des Bugs und winkten zur Anlegestelle hinunter. Amos stand hinter ihnen, und er wandte den Blick nicht von seiner geliebten Alicia ab. Nicholas sah von seiner Großmutter zu Amos und meinte: »Soll ich dich vielleicht von nun an ›Großvater‹ nennen?«
Amos warf ihm einen unheilverkündenden Blick zu. »Wenn du das wagst, kannst du nach Crydee schwimmen. Und wenn wir aus dem Hafen heraus sind, nennst du mich gefälligst ›Käpt’n‹. Wie ich deinem Vater schon vor über zwanzig Jahren gesagt habe, hat auf einem Schiff immer der Kapitän das Sagen. Hier bin ich Hohepriester und König zugleich, und daß du mir das nicht vergißt.«
Nicholas grinste Harry an und mochte nicht
Weitere Kostenlose Bücher