Mika, Bascha
Die gemeinsame Kraft zur
Veränderung kann nicht entstehen.
Die Geisel
In der
Liebesbeziehung verhalten wir uns, als wären wir in Geiselhaft. Als wäre die
Liebe ein romantisches Kidnapping, bei dem wir hilf- und wehrlos gemacht werden
und nicht mehr frei entscheiden können. Als würden wir in eine Beziehung
hineinspazieren wie in eine Bankfiliale, die gerade ausgeraubt wird. Und als
würde dort der Räuber auf uns warten und uns gefangen nehmen. Dabei sind wir
es, die sich als Geiseln anbieten.
Doch damit
nicht genug. Denn was macht eine reale Geisel? Sie ist ohnmächtig, fühlt sich
überwältigt und entwickelt Wut und Hass auf den Geiselnehmer. Solche Gefühle können
wir aber mit Liebe schlecht vereinbaren. Also treiben wir es um einiges
perfider: Wir retten uns in eine besondere Spielart des Stockholm-Syndroms.
Das
Stockholm-Syndrom ist ein interessantes psychisches Phänomen, bei dem die
Grenze zwischen Täter und Opfer verwischt wird. Beim Stockholm-Syndrom fühlt
sich die Geisel dem Geiselnehmer zunehmend verbunden. Sie lässt sich emotional
auf ihn ein, entwickelt eine Art Wir-Gefühl, manchmal sogar Liebe. Das
funktioniert nur, wenn die Geisel ihre eigenen Bedürfnisse, ihr eigenes Werte-
und Normensystem unterdrückt. Sie leugnet die Gewalt, die vom Täter ausgeht,
um ihre Abhängigkeit von ihm ertragen zu können, und weil sie hofft, dass
dieses Verhalten ihr etwas einbringt: eine wohlwollendere Behandlung. Die Kooperation
mit dem Geiselnehmer kann bis zur totalen Unterwerfung führen, zur völligen
Aufgabe der eigenen Autonomie. Die Geisel wechselt die Fronten. Sie macht sich
zur Komplizin des Täters. 23
Bei einer
realen Geisel führen Stress und Lebensgefahr dazu, sich derart an den Peiniger
anzupassen. Denn eine Geisel ist mit jeder Faser ausgeliefert.
Selbstverständlich funktioniert das hier anders. Wir Frauen sind in diesem
Sinne nur gefühlt Geiseln. Wir liefern uns selber aus. Weil wir in einer
Geiselmentalität gefangen sind. Wir begeben uns freiwillig in eine Rolle, in
der wir uns einem anderen unterwerfen. Und wie die reale Geisel mit dem
Stockholm-Syndrom glauben wir, davon zu profitieren: Indem wir durch unsere
Identifikation mit dem Mächtigen selbst teilhaben an der Macht — ohne dass wir
sie für uns selbst erringen müssen.
Mit
unserer Hilfe kann die männliche Seite so im Privaten festigen, was ihr auch
gesellschaftlich zugestanden wird: die dominierende Rolle. Wir stützen das
System und seine Mechanismen. Wir sind nicht dessen Gegnerinnen — obwohl uns
dieses System abwertet. Wir sind seine Komplizinnen.
Unsere
Geiselhaft ist selbst gewählt. Wir müssen uns nicht ausliefern, wir können
unser Leben steuern.
Nehmen wir
Conny. Conny ist Ende dreißig, arbeitet als Altenpflegerin und lebt in einem
hessischen Dorf. Seit ihrer Heirat hat ihr Mann noch nie länger einen Job
gehabt und auch nicht wirklich Lust, zu arbeiten. Sie schafft das Geld ran, sie
macht den Haushalt, die Wäsche, den Garten. Sie kümmert sich um alles, was
anfällt - während er den ganzen Tag auf dem Sofa liegt und den Hund streichelt.
Conny
ärgert sich, na klar. Aber beschwert sie sich, macht sie ihm Druck oder droht
ihm mit Rausschmiss? Sie hetzt von der Arbeit, sonst wird er ungeduldig. Wenn
sie sich mal abends mit Freundinnen trifft, achtet sie nervös darauf,
rechtzeitig heimzukommen. Sonst telefoniert er hinter ihr her, um sie zu
kontrollieren.
Bei einer
Ehe, sagt sie, geht es eben mal auf und ab, und er ist schließlich mein Mann.
Ihre Familie hat mehr als einmal angeboten, sie bei einer Trennung zu
unterstützen, doch Conny blockt immer ab. Sie ist zwar unglücklich, aber noch
unglücklicher würde es sie machen, ihre Ehe aufzugeben. Glaubt sie. Nichts fürchtet
sie mehr, als ohne Mann dazustehen.
Die Feigheit
Conny
könnte sich wehren, doch dazu braucht es Widerstandskraft. Und Mut. Doch Mut
gehört nicht zum weiblichen Erziehungsprogramm.
Jeder
kennt Pippi Langstrumpf, die Figur aus dem Kinderbuch, als einen mutigen und
aufrührerischen Mädchengeist. So oft wie der im modernen Frauenbild beschworen
wird, scheint Pippi genau die Art frecher Weiblichkeit zu repräsentieren, die
unsere Gesellschaft sich wünscht und braucht. Ein Vorbild, ein role model.
Traurig nur, dass, siebzig Jahre, nachdem die schwedische Schriftstellerin
Astrid Lindgren diese Figur erfunden hat, nicht etwa Pippi, sondern noch immer
ihre Freundin Annika das Rollenspiel in der Realität gewinnt. Annika
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