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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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verleihen. Das macht den Menschen aus. Danach ist er zu bewerten. Ganz gleich, ob es sich nun um einen König handelt oder um einen Bettler.«
    Fabio wollte dem jungen Mann ihm gegenüber, der an seinen Lippen hing, Zeit lassen, um das Gehörte auf seinen Sinn zu überprüfen. Doch schon reagierte Jakob. »Ich kann genauso glücklich sein wie ein König, glücklicher sogar«, flüsterte er. »Und ich kann ebenso wichtige und gute Dinge tun wie ein König, wichtigere, bessere sogar. So ist es doch, nicht wahr?« Fabio lächelte. Weil Jakob so rasch begriffen hatte, alles begriffen hatte.
    Erstaunlich, dieser Bursche, dachte der Fahrende. Und beneidete ihn um sein unverdorbenes Herz.
    ***
    Ich war schlecht gelaunt. Und als mich Silvia gefragt hat, warum, bin ich noch mürrischer geworden und richtig ruppig und habe geschrien: »Ich weiß es nicht!« Über Silvias Augen ist ein Flimmern gegangen und sie hat den Kopf gesenkt. Du Vollidiot, habe ich mir gedacht und mich noch mehr geärgert, du hast den Menschen gekränkt, der dir am liebsten ist. Mit beiden Füßen aufstampfend bin ich vor ihr im Kreis herumgehüpft und habe »Arrrrrrr« gemacht, weil es mich so gegiftet hat. Das Springen hat geholfen. Weniger mir, aber Silvia. Endlich hat sie wieder aufgeschaut, und dann hat sie lachen müssen. Weil ich so idiotisch herumgezappelt bin. Gott sei Dank!
    »Na sag schon«, hat sie mich aufgefordert, hat mich gestupst, mir ihren Zeigefinger in die Seite gebohrt, und da waren sie wieder, die Grübchen in ihren Wangen und das Funkeln in ihren Augen.
    »Ich weiß nicht, was mit mir ist. Es ist einfach so«, habe ich versucht, die Sache loszuwerden, und bin nicht mehr am Boden herumgesprungen, sondern von einem Grübchen zum anderen. Und wieder zurück, und habe mich dann entschieden, im linken zu bleiben.
    »Na gut, dann sag eben ich dir, weshalb du so unwirsch bist«, hat Silvia erklärt: »Es ist wegen der Zigeuner. Weil sie morgen fahren.«
    Freilich hat sie recht gehabt. Kaum war die Wahrheit ausgesprochen, war sie nicht mehr zu übersehen. Und mir ist keine Möglichkeit mehr geblieben, mir vorzumachen, »einfach so« schlecht aufgelegt zu sein.
    »Im Spätherbst kommen sie ja wieder«, hat Silvia gesagt. »Und bis dahin hast du mich.«
    Das hat sie wirklich gesagt: »Hast du mich!« Mein Herz hat Purzelbäume gemacht. Es hat sich runterkugeln lassen wie über einen warmen, duftenden Blumenwiesenhang, ist gesprungen und gerollt und gehüpft. Ich wollte Silvia auf der Stelle umarmen und sie nie wieder loslassen. Ich wollte ihr sanft übers Haar streicheln. Ich wollte sie liebevoll an mich drücken. Ich wollte ihr zärtlich ins Ohr flüstern. Ich bin dagestanden wie versteinert und habe ein Eselsgesicht gemacht.
    Ähnlich unschlüssig wie ich war an diesem Tag der Wettergott. Er hat Sonne geschickt und sie uns dann gleich wieder entzogen, durch einen Vorhang aus Dunst. Er hat Wind gesandt, der aber gleich wieder zu Boden gesunken ist, ganz so, als sei er müde. Und er hat Regen fallen lassen, aber nur eine Ahnung davon, einen Tropfen da und einen Tropfen dort, so wenig, man hätte glauben können, im Himmel ist das Wasser knapp geworden. So ist der Tag vor sich hin getrieben, und irgendwann ist das letzte Licht verschwunden, und er ist hereingebrochen, der Abend der Tag- und Nachtgleiche.
    Also haben die Zigeuner mit ihrem Fest begonnen, haben begonnen, Abschied zu feiern, weil sie doch am nächsten Morgen aufbrechen würden, wie immer zu dieser Jahreszeit. Weißt du eigentlich, warum ausgerechnet dann? Natürlich, du Oberschlauer, freilich weißt du es. Fabio sagt immer: »Gott hat die Welt zu Frühlingsbeginn geschaffen und somit auf ihre Reise geschickt. Es ist also nur recht und billig, dass wir uns daran halten und unsere Reise ebenfalls zur Tag- und Nachtgleiche beginnen. Erneut brechen wir auf, um die Wunder, die Gott zu Frühlingsbeginn geschaffen hat, mit Händen, Augen, Ohren und Nase einzufangen.«
    Die Abschiedsfeier der Zigeuner ist spät am Abend zu Ende gegangen, und die Dorfbewohner haben sich mit vollgeschlagenen Bäuchen und rot getrunkenen Köpfen auf den Heimweg gemacht. Nachdem sich alle verabschiedet haben, die zum Fest eingeladen gewesen waren, also wir vom Seifritz-Hof, und auch alle, die nicht eingeladen gewesen waren, aber trotzdem gekommen sind, also der Huber-Bauer, die Huber-Bäuerin, die Lagler-Buben Kurt und Franz, der Herr Pfarrer und der Wirt, dem langweilig gewesen ist, weil er Ruhetag gehabt

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