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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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hat. Nachdem sie alle weg waren, hat mich Fabio zur Seite genommen und gesagt, dass er etwas mit mir zu besprechen habe.
    Wir haben uns abseits vom Planwagen zum Lagerfeuer gesetzt. Fabio hat für uns die letzte Flasche Wein hervorgezogen, die er rechtzeitig vor den anderen in Sicherheit gebracht hatte, und dann hat Fabio das Gespräch begonnen, wie er jedes begonnen hat, seit ich ihn kenne: Er hat mir freundlich in die Augen geschaut und nichts gesagt. Wir haben abwechselnd aus der Flasche getrunken, und sie war nur noch halb voll, als Fabio gemeint hat: »Du musst nicht traurig sein.«
    Ich habe mich ertappt gefühlt und war verlegen, da hat er ergänzt: »Nicht trauriger als ich.«
    »Wir werden uns wiedersehen, im Herbst«, hat er gesagt. Das könne er mit Sicherheit behaupten, denn es sei ihm in der Raunacht anvertraut worden, als er um Mitternacht am Großen Stern nach der Zukunft gehorcht habe. Fabio hat tief durchgeatmet, und dann hat er mir erzählt, was er in dieser Raunacht weisgesagt bekommen hat. Das meiste betreffe freilich ihn und die Seinen, hat er gemeint, aber eine Vorhersage auch mich. Und die sei am erstaunlichsten.
    Das nächste Mal, wenn er mit seiner Sippe nach Legg kommen werde, hat er begonnen und mich dabei mit einem ungläubigen Blick fixiert, als würde er in meinen Augen nach einem Hinweis forschen für die unerklärlichen Dinge, die er über mich erfahren hat. Das nächste Mal, wenn er nach Legg kommen werde, werde vieles anders sein. Als er sich beim Kreuzweg niedergelassen habe, habe alles damit begonnen, dass er eine Krähe gehört habe, ihren Schrei, und dann ihren Flügelschlag über seinem Kopf. »Sie war ein Bote, sie hat dich angekündigt«, hat Fabio gesagt und dann erzählt, dass er die Augen geschlossen habe. Kurz darauf sei ich ihm erschienen, ganz deutlich habe er mich gesehen, wie ich ihm entgegengekommen sei. »Aber dein Schritt«, hat er gesagt, »war ein anderer und auch deine Haltung. Dein Rücken war stolz und gerade, dein Gesicht hast du höher gehalten als sonst. So, dass die Herbstsonne es erhellen konnte. Und in deinen Augen war eine neue Kraft und Selbstverständlichkeit. Eine gelassene Sicherheit funkelte darin. Es war ein Funkeln, das niemand je zuvor gesehen hat. Es kam aus Augen, die nicht weniger fröhlich waren als sonst, aber mit einem Mal klar. So hab ich dich kommen gesehen«, hat Fabio zu mir gesagt, noch immer mit einem Blick wie vor einem Rätsel. Und weil ich nicht gewusst habe, wie ich ihm helfen soll, und deshalb nur mit den Schultern gezuckt habe, hat er gesagt: »Jakob, du warst ein gänzlich anderer. Und doch du selbst.«
    Am nächsten Morgen bin ich mit ziemlichem Kopfweh aufgewacht, und mit furchtbarem Durst. Wie betäubt habe ich mich in meiner Kammer umgeschaut, irgendwie so, als ob ich sie zum ersten Mal sehen würde. Kurz darauf ist mir aufgefallen, dass meine hellbraune Weste verschwunden war. Als ich raus in den Stadel gestolpert bin, um nach ihr zu suchen, war auch der Planwagen fort, mitsamt den Rössern und Fabios Sippe.

10.
    Als der Huber-Bauer erstmals vom frischen Kraut aß, beschwerte er sich, dass es »nicht zu fressen« sei, und einfach eine »Zumutung«. »Da ist ja überhaupt kein Salz und kein Kümmel drinnen!«, redete er sich nach abermaligem Probieren noch tiefer in seinen Zorn, fixierte mit streitsüchtigem Blick seine Frau und schrie: »Hast du in die Luft geschaut, als Jakob dir das Kraut gehobelt hat?«
    Um Himmels willen, dachte Jakob, jetzt kommt alles raus. Rasch senkte er den Kopf und stopfte sich einen übergroßen Bissen Erdäpfelknödel in den Mund. Er fand, so könne wirklich niemand von ihm erwarten, dass er zu dem Thema etwas sage. Die Bäuerin hingegen zeigte nicht den Anflug von Verlegenheit: »Wenn dir das Kraut nicht passt«, keifte sie, »machst du es dir das nächste Mal halt selber!«
    Schrecken in den Augen des Bauern. »Ist schon gut, brauchst dich nicht gleich aufregen«, brummte er erstaunlich kleinlaut und stocherte lustlos in seinem Kraut.
    Die Dreistigkeit der Bäuerin verblüffte Jakob. Mehr aber noch, dass ihre Kaltschnäuzigkeit von solchem Erfolg gekrönt war. Jakob kam die Seifritz-Großmutter in den Sinn. Oft hatte sie kopfnickend festgestellt: »Frechheit siegt.« Jakob musste sich eingestehen, dass er selbst niemals ausreichend Mut gehabt hätte, frech zu sein, wie es die Großmutter empfohlen und die Huber-Bäuerin praktiziert hatte. Vielleicht, überlegte er, vielleicht ist Frechsein

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