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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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ja auch ausschließlich Sache der Frauen. Eben wollte er die Bäuerin danach fragen, da verbot sie ihm mit einem scharfen Blick den Mund – als ob sie Gedanken lesen könnte, schauderte es Jakob, und sein Respekt vor den Weibsbildern war schon wieder gestiegen.
    Nach einer Weile, während der die Bauersleute und ihr Knecht stumm das Essen zwischen ihre fettglänzenden Lippen geschoben hatten, tat der Bauer etwas, das er noch nie getan hatte: Er fragte Jakob um seine Meinung. »Wie schmeckt eigentlich dir das Kraut?«, kramte er das abgeschlossen geglaubte Thema wieder hervor und ließ eine voll beladene Gabel dicht vor den Augen des Burschen auf und ab wippen.
    Um Himmels willen, dachte Jakob. Er ärgerte sich, dass er zuvor eigens einen so großen Bissen genommen hatte. Nun war nichts mehr übrig von dem Knödel, nichts mehr da, um sich den Mund zu stopfen. Jakobs Ohren begannen zu glühen, seine Wangen folgten und sein Kopf drohte vor Hitze zu explodieren. Mit angestrengt zugepressten Augen wartete er darauf. Zähe Sekunden vergingen.
    Plötzlich schepperte es am Fenster. Alle erschraken.
    »Schnell! Kommt’s schnell!«, schrie Hans, der vom Seifritz-Bauern geschickt worden war. Noch immer trommelte er wie wild an die dünne Scheibe. »Kommt’s! Es brennt! Der Lagler-Hof brennt!«
    An einem Ende schlug das Feuer bereits über das Scheunendach. Es raste die groben Holzlattenwände empor, fraß sich nach oben, immer wieder neue Kraft sammelnd, mit jedem Stoß an Stärke gewinnend. Wie ein tobendes, wildes Tier züngelte es nach allem, was ihm in den Weg kam, und war dabei so heiß, dass Jakob gezwungen war, die Augen zusammenzukneifen, als er näher trat. Das Feuer war laut. Es fauchte und prasselte, krachte, tobte, krächzte und schrie. Immer näher kam es dem Wohnhaus, hatte es aber noch nicht unter seiner Gewalt. Die Lagler-Bäuerin und ihre beiden Söhne schleppten Geschirr nach draußen, Truhen voll mit Gewand und anderen Habseligkeiten. Vom Feuerwehrhaus her heulte bedrohlich die Sirene. Das Feuer biss auf den Stadel ein, blutete ihn aus, befiel nun auch den dahinter liegenden Stall, grausam, mächtig, laut, unsägliche Hitze, flirrende Luft. Jakob fühlte, wie Panik ihn umschloss. Die Nachbarn halfen der Bäuerin und ihren Söhnen beim Retten der Einrichtung, der bescheidenen Kostbarkeiten: der Marienstatue, des Nudelwalkers, des Salatsiebs, der Gugelhupfform. Jakob stand inmitten dieses hektischen Durcheinanders – und rührte sich nicht. In den Ohren Watte, gesponnen aus Angst. Wildes Rauschen im Kopf. Jakob versuchte sich zu beruhigen, er wollte wieder denken können, das Feuer aus seinem Schädel bekommen. Fabio, was würde Fabio mir raten, überlegte er, und allein dieser Gedanke machte ihn ruhiger, nahm dem Getöse um ihn herum etwas von seiner Heftigkeit. Er schloss die Augen. Seine Lippen formten Worte, doch kein Ton entkam ihnen. »Schieb beiseite, was dich verwirrt. Achte nicht auf das Chaos, nicht auf das Reden und nicht auf das Tun der anderen. Vertraue auf dich und die einfache Klarheit der Dinge. Klar wirst du sie sehen, wenn du lernst, still zu sein. So wirst du über den Dingen sein. Und so wirst du die Fähigkeit haben, auch in den Dingen zu sein.« In seinem Kopf wurde es nun leise. Ganz leise und angenehm kühl. Jakob bemerkte, dass ein Feuerwehrauto dicht neben ihm gebremst hatte, er vernahm, dass er von seinem Vater angeschrien wurde, aber all das nur leise, bedeutungslos, wie von weit weg. Er sah den Lagler-Hof jetzt von oben. Sah, wie das Feuer sich ausbreitete. Und er hörte, was er zuvor nicht gehört hatte. Die Tiere im Stall brüllten um ihr Leben. Als ob sie in ihm wären, so laut hörte er ihr verzweifeltes Schreien. Jakob rannte los.
    Er fühlte sich nun ganz leicht, und als er um die Ecke bog, war es exakt so, wie er es zuvor von oben gesehen hatte: Auch der Stall brannte schon, und das Feuer hatte bereits volle Gewalt über jene Seite, an der das Tor eingelassen war. Jakob nahm Anlauf, rannte los, drang ein in die Hitzewand, sprang in vollem Lauf in die Höhe, spürte das Feuer seinen Körper schlucken und krachte mit gestreckten Beinen gegen die brennenden Holzlatten. Sie gaben nicht nach, ließen Jakob abprallen, und er musste zusehen, schleunigst wieder aus dem Feuer zu kommen. Er überlegte nicht mehr, seine Aufgabe war nun klar. Er rannte erneut los, hinein ins Feuer, mit voller Wucht gegen die Latten. Sie gaben wieder nicht nach. Auch beim nächsten Mal nicht. Und auch

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