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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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ging der Tabak des Huber-Bauern zu Ende.
    »Jakob!«, brüllte er. »Jakob! Sakrament!«
    »Na endlich«, seufzte der Bauer, als sein Knecht keuchend und immer noch mit der Hacke in der Hand vor ihm stand. »Du musst rasch ins Dorf. Der Pfarrer wartet auf seine Lieferung. Und schau zu, dass du rasch wieder da bist.«
    »Jawohl.«
    »Und, Jakob«, der Bauer hielt ihn am Ärmel zurück, »nimm vom Greißler bei der Gelegenheit auch gleich Tabak mit.«
    Alle paar Tage musste Jakob zum Pfarrer, um ihm Milch, Butter oder Eier zu bringen. Er mochte diese Aufgabe nicht. Jedes Mal stellte Jakob aufs Neue fest, dass allein die Stimme des Pfarrers ein Unbehagen in ihm aufsteigen ließ und das starke Verlangen, möglichst rasch wieder davonzukommen. Beim sonntäglichen Kirchgang war es nicht gar so schlimm. Das lag wohl daran, sagte sich Jakob, dass er in der Kirche nicht allein war mit dem Pfarrer. Obgleich der Ton, den dieser Mann anschlug, für den Burschen besonders im Widerhall der feucht schimmelnden Kirchengemäuer angsteinflößend und un­natürlich klang. Es war ein Ton, der dazu bestimmt schien, das wahre Wesen des Pfarrers zu verschleiern. Dieser Ton hallte von der Kanzel herab, fraß sich in die kalten, nassen Mauern der Kirche ebenso wie in Jakobs schmerzenden Schädel und war derart übertrieben säuselnd und frömmelnd, dass doch jeder die Verstellung bemerken müsste, fand Jakob. Aber als er den Seifritz-Bauern, den Huber-Bauern und auch andere danach fragte, meinten alle: So redet ein Pfarrer eben.
    Schon das Ziehen an der Glockenschnur am Eingang der Pfarrerswohnung verursachte Jakob Unwohlsein. Er hatte das Gefühl, damit einen viel zu langen Zeitabschnitt in seinem Leben einzuläuten. Einen, den er besser vermeiden sollte, ohne zu wissen wie.
    »Jakob!«, frohlockte der Pfarrer in hohem Ton und warf, gleichsam Gott für diesen Besuch preisend, die Hände in die Höhe. Im diffusen Licht der dunstverhangenen Sonne glänzte matt die Narbe auf seinem Gesicht, wand sich von Wange bis Mund, und Jakob konnte bei ihrem Anblick nicht anders, als an eine Schlange zu denken, eine giftige Schlange, die aus dem Mund des Pfarrers gekrochen kam.
    »Jakob! Wie schön, dass du mich besuchst! Was hast du denn diesmal Gutes für mich?«
    »Ein Dutzend Eier und eine Kanne Milch.«
    »Ja wunderbar! Komm doch herein und leiste mir etwas Gesellschaft. Ich habe auch frischen Kuchen für dich.«
    Da war er wieder, dieser Ton, getragen von einer durch und durch scheinheiligen Freundlichkeit. Einer Freundlichkeit, die nicht echt sein konnte, ganz sicher nicht, fand Jakob.
    »Vielen Dank«, beeilte er sich, »aber ich muss gleich wieder zurück zum Hof.«
    Das Gesicht des Pfarrers verriet seine Enttäuschung. Und gleich darauf seinen Ärger. Ehrlichen, kalten Ärger. Aber nur kurz. Rasch war seine Mimik wieder unter Kontrolle gebracht. Er atmete durch, lächelte, ließ seine Hände unter die Soutane gleiten und formulierte seidenweich: »Du warst schon lange nicht mehr bei mir in der Beichte, Jakob. Führst du denn auch ein gottesfürchtiges Leben?«
    »Ja, Herr Pfarrer.«
    »Soll das heißen, du hast nichts zu beichten, Jakob?«
    »Nicht viel, Herr Pfarrer.«
    »Nun, wenn es auch nicht viel ist, Jakob, so ist es doch genug.«
    »Ja, Herr Pfarrer.«
    »Brav, Jakob. Also, ich erwarte dich kommenden Sonntag, nach der Messe.«
    »Ja, Herr Pfarrer.«
    Der Pfarrer stand noch immer zwei Stufen über Jakob. Von dort nahm er mit steifem Rücken die Kanne Milch entgegen und den Papiersack mit den Eiern. Und von dort streckte er dem Burschen auch in Ehre gebietender Haltung und mit gestrecktem Kinn die Hand zum Abschied entgegen. Beinahe ins Gesicht streckte er ihm seine Hand, fast so, als habe er das gute Recht, einen Handkuss zu erwarten und buckelige Demut.
    Jakob lief ein Schauer über den Rücken, noch bevor er seine Hand in jene des Pfarrers schieben musste. Diesen Moment hasste er am allermeisten. Diesen ewigen Moment, in dem er ein Gefangener war und nicht los konnte. Diesen Moment, in dem seine Hand von der schweißnassen des Pfarrers umfasst wurde, als wolle dieser Mann ihn mit Haut und Haaren verschlingen. Jakob verfluchte sie, diese durch und durch ekelerregende Situation, die der Pfarrer lustvoll in die Länge dehnte, und deren furchtbare Wirkung er mit seinen stechenden Augen noch zu verstärken wusste und mit seinem lieblich grinsenden Mund, aus dem die Schlange kroch.
    »Also Jakob«, sagte der Pfarrer und bewegte seine und

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