Milchschaum
nicht, und ebenso wenig war’s Bauer Klein.
Halt, Fanni Rot! Jeder kann es gewesen sein, solange kein Beweis für seine Unschuld erbracht ist – Togo-Franz, Bauer Klein, die Messdiener, Elsie Kraft, Frau Praml, du natürlich …
Fanni musste grinsen, wurde aber schnell wieder ernst.
Wer war es wirklich?, fragte sie sich.
Es wurde Zeit, mit Sprudel zu telefonieren.
4
»Stell dir vor«, sagte Sprudel.
»Stell dir vor«, sagte Fanni.
Da mussten sie lachen.
»Du zuerst«, sagte Sprudel.
»Du zuerst«, sagte Fanni.
Sie lachten lauter, krakeelten eine Weile hin und her, bis Fanni verlangte:
»Du fängst an!«
»Also gut«, lenkte Sprudel ein. »Ich wollte dich eben anrufen und dir sagen, dass ich übermorgen nach Birkenweiler komme.«
Das haute Fanni um. »Dein nächster Besuch war doch erst für Mai geplant, wenn Hans mit dem Kegelclub nach Istanbul fährt?«
»Geschäfte«, sagte Sprudel, »wichtige Angelegenheiten führen mich überraschend nach Birkenweiler.«
Fanni fiel kein einziger Grund ein, der jemanden geschäftlich nach Birkenweiler führen konnte.
Sie fragte Sprudel, was es hier so Dringendes für ihn zu tun gab, und erfuhr: Vor einiger Zeit war in Birkenweiler eine alte Dame gestorben, die dort ein Haus und etliche Hektar Wiesengrund besaß. Sie hatte ein Testament hinterlassen, in dem Sprudel als Erbe eingesetzt war.
»Du hast nie erwähnt, dass in Birkenweiler Verwandte von dir wohnen«, beschwerte sich Fanni.
»Ich hatte selbst keine Ahnung«, sagte Sprudel. »Aber ich werde schon herausfinden, wie ich mit Erna Saller verwandt bin und warum ich noch nie etwas von ihr gehört habe.«
»Erna Saller?«
»So heißt die Verstorbene.«
Fanni lachte leise.
»Kanntest du sie?«
»Ich kenne ihren Grabstein«, antwortete Fanni, »und das bringt mich zu dem, was hier passiert ist.«
Sprudel hörte schweigend zu, während sie berichtete. Abschließend beklagte sich Fanni: »Die Leute hier bringen es glatt fertig, schon wieder den alten Klein zu verdächtigen.«
Aus dem Telefonhörer kam ein Glucksen. »Da wird es doch höchste Zeit, wieder ein wenig Detektiv zu spielen, Miss Marple.«
»Wie lange kannst du bleiben?«, fragte Fanni.
»So lange ich mag«, erwiderte Sprudel. »Vorerst habe ich für die Erbschaftsangelegenheit drei Wochen veranschlagt. Zeit genug, nebenher ein paar Ermittlungen anzustellen.«
Fanni nickte zögernd. Als ihr einfiel, dass Sprudel sie nicht sehen konnte, sagte sie: »Fünfzehn Arbeitstage.«
»Hm«, meinte Sprudel, »ich werde meinen Nachbarn bitten, vier Wochen lang ein Auge auf mein Häuschen hier zu haben. Und dann sehen wir weiter. Bis bald, Fanni. Ich … ich kann es kaum erwarten.«
»Bis übermorgen«, sagte Fanni und achtete darauf, dass die Verbindung unterbrochen war, bevor sie hinzufügte: »Ich kann es gar nicht erwarten.«
Bereits einen Tag später wussten der Frauenbund, der Schützenverein, der Kirchenchor, der Gemeinderat und somit ganz Birkdorf mit sämtlichen Weilern ringsum, dass der Erbe von Erna Sallers Anwesen demnächst hier ankommen würde. Frau Praml erzählte es Fanni.
»Es ist eine Schande. Eine bodenlose Ungerechtigkeit«, krächzte sie.
Fanni stellte ihr die Zuckerdose hin. Sie hatte nicht umhinkönnen, ihre Nachbarin ins Esszimmer zu bitten, weil Frau Praml um drei Uhr nachmittags mit einem Teller voll Nougatkringel aufgekreuzt war und gerasselt hatte: »Ach, Frau Rot, Sie haben doch diese tolle Maschine, mit der man so wundervolle Latte macchiatos zubereiten kann.«
Fanni seufzte. Frau Praml hatte sie als ihr Publikum auserwählt und beabsichtigte offensichtlich, die Auftritte von Tag zu Tag mehr auszudehnen.
»Es ist eine Gemeinheit! Elsie und Rosie hätten das Saller-Anwesen erben müssen. Jede die Hälfte.«
»Wer?«, fragte Fanni.
»Elsie Kraft, unsere Sopranistin, und Rosie Hübler, unsere Frauenbundvorsitzende«, dozierte Frau Praml, als hätte sie eine ganze Klasse begriffsstutziger Schüler vor sich.
»Wieso das denn?«, erkundigte sich Fanni.
Frau Praml verdrehte die Augen zum Himmel. Fanni konnte sie geradezu denken hören: Herrgott, wie kannst du nur so viel Unwissenheit zulassen?
Sie hatte den Latte macchiato ausgetrunken und den restlichen Milchschaum ausgelöffelt. Fanni nahm das leere Glas und ging in die Küche, um es noch mal zu füllen. Frau Praml übertönte das Klacken und Brummen der Espressomaschine, ohne die Stimme heben zu müssen.
»Erna Saller selbst konnte ja leider keine Kinder bekommen.
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