Miles Flint 02 - Die Lautlosen
Armen eine andere Haltung als wir.«
Diese Bemerkung verwunderte DeRicci. Sie war nie auf der Erde gewesen; daher wusste sie nicht recht, was so unterschiedlich sein könnte. »Haben wir?«
»Haben Sie. Sie scheinen zu denken, dass, wer sich nicht allein durchschlagen kann, irgendeinen charakterlichen Mangel haben muss. Mir kommt es so vor, als würden Sie die Leute aus den armen Stadtteilen Ihrer schönen Stadt am Liebsten einfach woanders hin verfrachten, wenn Sie nur könnten.«
Auch wenn DeRicci bewusst war, dass Swann das Wörtchen ›Sie‹ nicht benutzt hatte, um sie persönlich anzugreifen, fasste sie es doch so auf. Leute, die auf der Erde mit ihrem offenen Land und den unbegrenzten Ressourcen lebten, verstanden das Leben in einer Kuppel einfach nicht. Wer innerhalb einer Kuppel keinen Beitrag leistete, vergeudete nicht nur wertvolle Ressourcen; er war auch eine Bedrohung für das Überleben anderer Menschen.
Aber DeRicci sprach ihre Gedanken nicht aus. Sie musste sich auf die Ermittlungen konzentrieren, nicht auf eine philosophische Streiterei mit einer Frau, die viel zu sehr in ihren eigenen Vorstellungen gefangen war, um zu begreifen, dass das Universum ein mannigfaltiger Ort war.
»Also wollte das Komitee nicht mit Ihnen zusammenarbeiten?«
»Nein. Nachdem sie herausgefunden hatten, was ich von ihnen wollte, wollten sie sich nicht einmal mehr mit mir treffen. Die dachten, ich würde ihrer großen Touristenattraktion schaden wollen.«
»Würde ein weiterer Marathon nicht genau diese Wirkung erzielen?«
»Natürlich nicht.« Swann schien ihrer Sache absolut sicher zu sein. »Der Mondmarathon ist ein Ereignis mit Prestige, und daran würde sich nichts ändern. Wir würden uns als Übungslauf darstellen und gleichzeitig Mittel für die Bedürftigen sammeln.«
»Sie versuchen, Ihr Unternehmen auszuweiten.« Langsam verstand DeRicci, worum es ging.
»Ja.«
»Dann ist das Komitee natürlich interessiert, die eigene Veranstaltung zu schützen.«
»Wir sind gemeinnützig. Wir würden denen nicht in die Quere kommen.«
DeRicci zweifelte daran. Im Laufe der Jahre hatte sie einige gemeinnützige Organisationen erlebt, die anderen Leuten ins Geschäft gepfuscht hatten.
Aber würden sie Jane Zweig ermordet haben, um doch noch einen Erfolg davonzutragen und den Mondmarathon vernichtend zu schädigen, sodass sie ihn später wieder aufleben lassen und als eigene Veranstaltung etablieren konnten?
Das klang unwahrscheinlich, aber DeRicci hatte schon so viele unwahrscheinliche Dinge erlebt, dass sie auch das nicht vollständig ausschließen mochte.
»Dennoch haben sie das vielleicht befürchtet«, entgegnete DeRicci. »Meinen Sie nicht? Vielleicht haben sie einfach gedacht, Sie würden ihnen schaden.«
»Mit ›vielleicht hat das nichts zu tun‹. Sie haben ganz genauso gedacht. Und sie waren nicht gerade erfreut darüber, dass ich heute gewonnen habe. Sie haben sogar eine Bedrohung darin gesehen.«
»Vielleicht waren sie auch nur durch das Mordopfer abgelenkt, was immer noch auf ihrem Kurs lag.« DeRiccis Ton klang schärfer als beabsichtigt.
»Vielleicht«, räumte Swann ein, aber es klang, als würde sie das bezweifeln. DeRiccis pointierte Mahnung – dass das Ganze größer war und den Tod einer Frau beinhaltete – schien völlig an Swann vorbeigegangen zu sein.
DeRicci beschloss, dass sie aufhören sollte, diese Frau wie eine wichtige Persönlichkeit zu behandeln. »Sie sind an Jane Zweigs Leiche vorbeigelaufen, richtig?«
Swann zuckte mit den Schultern. »Ich bin auf der Strecke an einigen Leuten vorbeigelaufen.«
»So viel zum Thema Wohltätigkeit«, kommentierte DeRicci.
Swanns Wangen röteten sich. »Man hat uns gesagt, wir sollten nicht anhalten; jeder hätte einen Panikknopf und die Freiwilligen und die Sanitäter würden sich um alles kümmern. Wenn man läuft, Detective, dann lernt man, dass Leute verletzt werden, hier und auf der Erde. Das ist ein Teil dieses Sports. Sie können nicht allen helfen, und Sie werden keinen Erfolg haben, wenn Sie es versuchen.«
DeRicci ließ Swanns letzten Satz im Raum verhallen, und Swanns Wangenröte vertiefte sich.
»Ich denke, es gibt einen Unterschied zwischen einer Person, die einfach nur verletzt ist, und einer, die bewusstlos ist«, sagte DeRicci. »Es ist unmöglich, dass irgendjemand, der Zweigs Leiche gesehen hat, das, was er da zu sehen bekam, mit einer einfachen Verletzung verwechseln konnte.«
Swanns Finger spannten sich um die Armlehne
Weitere Kostenlose Bücher