Millennium Falke
lieferten meine Studien einige bemerkenswerte Ergebnisse. Noneens Volk schien im Voraus zu wissen, wann jemand sterben würde – wenngleich es stets den Ausdruck fortgehen benutzten. Manchmal sagte Noneen, eine Person wäre fortgegangen – obwohl ich sie in diesem Moment direkt ansah oder sogar mit ihr redete. Jedes Mal starb diese Person kurz darauf, und oft gab es keinerlei Anzeichen für eine Krankheit.
Ich fragte ihn, ob sein Volk auch im Voraus von der Vernichtung ihres Dorfes gewusst hatte, und er sagte, ja, das hätten sie. Sie hatten gesehen, dass das Dorf verschwinden würde.
War das nun Präkognition, wunderte ich mich, oder ein Resultat der Macht?
Noneens Antwort war ein vages Vielleicht.
Als ich etwas mehr als ein Jahr unter ihnen gelebt hatte, verfielen sämtliche Bewohner des Dorfes in eine merkwürdige Trauer, und als ich nach dem Grund fragte, sagte Noneen mir, dass ich fortgegangen war. Seine Leute wussten, dass ich es nicht sehen konnte, darum hatten sie dieses Wissen für sich behalten.
Ich weigerte mich, ihm zu glauben, dennoch unterzog ich mich jedem nur erdenklichen Scan – und alle zeigten sie, dass ich in nahezu perfektem gesundheitlichem Zustand war. Noneen beharrte aber darauf, dass ich fortgegangen war. Doch falls ich gestattete, dass in meinem Namen ein Ritual durchgeführt wurde, könnte man meinen Tod vielleicht um eine gewisse Zeitspanne hinauszögern. Neugierig willigte ich ein, und als das Ritual beendet war, sagte Noneen, dass es nur teilweise ein Erfolg gewesen war.
Noch in derselben Woche wurde ich schwer krank.
Hatten sie mir das mit Absicht angetan, fragte ich mich. War das von Anfang an ihr Plan gewesen? Die Droiden machten einige Tests, die zeigten, dass ich an einer angeborenen Krankheit litt, die irgendwie fast dreißig Jahre lang verborgen geblieben war, trotz regelmäßiger medizinischer Scans. Eigentlich hätte ich sterben müssen – doch ich starb nicht. Irgendetwas hielt die Krankheit in Schach. Doch für wie lange noch?
Da erkannte ich, dass es mein Schicksal war, so lange bei Noneen und seinem Volk zu bleiben, bis ich das Geheimnis ihrer unheimlichen Fähigkeiten gelüftet hätte. Ich hatte diesen großen Traum. Die menschliche Spezies hatte so große Fortschritte in den Bereichen von Wissenschaft und Technik gemacht, und doch war sie dem Geheimnis, wie man in die Zukunft sehen und unsere Lebensspanne verlängern konnte, noch nicht auf die Schliche gekommen. Ich stand nun kurz davor, dieses Rätsel zu lüften.
Es gab nur ein Problem.
Monatelang hatte ich Mut gesammelt, um Noneen danach zu fragen, wie lange sein Volk lebte. Ich formulierte die Frage natürlich nicht so direkt. »Muss dein Volk nie fortgehen?«, fragte ich.
Er schüttelte schicksalsergeben den Kopf. »Wir müssen gehen.«
»Wann?«, hakte ich nach, und meine Stimme verriet meine große Enttäuschung.
»Bald. Lange, bevor du fortgehst.«
Ich verdoppelte meine Bemühungen, alles, was ich nur konnte, über Noneens Volk zu erfahren, doch diese Versuche blieben erfolglos. Im Angesicht des Versagens verwandelte ich mich von einer Ärztin in eine verrückte Wissenschaftlerin, fürchte ich.
Ein weiteres Jahr verging.
Der Millennium Falke war zu einem festen Bestandteil des Dorfes geworden. Doch dann, eines Tages, begannen sämtliche Bewohner damit, das Schiff von Bug bis Heck zu säubern. Sie entfernten die Blumen und den Weihrauch und bemalten die Hülle mit Baumsaft, der heller war als alle Farben, die ich je im Dorf gesehen hatte. Ich versuchte mich damit zu beruhigen, dass es zumindest keine Kriegsbemalung war, dennoch fand ich diese plötzliche Aufmerksamkeit, die sie dem Schiff schenkten, ebenso besorgniserregend wie verblüffend.
Als ich um eine Erklärung bat, erklärte Noneen, der Falke wäre fort.
»So wie die imperiale Basis?«, fragte ich.
»Er ist einfach fort«, sagte er. »An einen anderen Ort weitergezogen.«
Es gab nichts, was ich tun könnte. Der Falke war fort.
Während des nächsten Monats erwartete ich jeden Morgen, dass das Schiff verschwunden sein würde, und jedes Mal war ich überrascht, ihn draußen hell bemalt auf seinen Landestreben vorzufinden. Ich weiß nicht, was ich erwartete, aber erst, als der Molpol-Zirkus auf Hijado eintraf, begann ich zu verstehen. Dax Doogun sah den Falken nur einmal kurz an und beschloss, dass er ihn haben musste. Tatsächlich fällt mir kein Schiff ein, das besser zu einem Zirkus gepasst hätte. Dax’ Angebot war äußerst
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