Millionenkochen: Ein Mira-Valensky-Krimi
über die beachtlichen Förderungen geschrieben, die den Sender hergelockt haben. Dazu Einschaltquoten, eine Beschreibung von MillionenKochen – die meisten Leser des „Magazins“ kennen die Show besser als ich – und das bisschen, was mir die Moderatorin und die Kandidaten erzählt haben.
Aber ich bin nicht glücklich damit. Ich denke an den Fast-Selbstmörder. Das wäre eine viel bessere Geschichte. Was passiert mit den Verlierern? Welche Hoffnungen haben sie gehabt? Was wird ihnen vorgegaukelt, damit sie glauben, diese Show könnte ihr Leben verändern, muss ihr Leben verändern?
Ist es das Geld? Ist es das Gefühl, endlich aus dem Alltag herauszuwachsen, „im Fernsehen“ zu sein, wo einen alle anderen sehen können und am nächsten Tag sagen: „Ich hab dich im Fernsehen gesehen“? Ist man jemand anderes, Interessanteres, wenn man im Fernsehen war?
Ich google mich durch das Internet, suche nach dem, was Andy Warhol gesagt hat: Jeder werde für eine Viertelstunde ein Star sein. Oder so ähnlich. Auf Deutsch finde ich nur eher seltsame Interpretationen dieser Vision, irgendwann komme ich zum englischen Originalzitat aus dem Jahr 1968: „In the future everybody will be world famous for 15 minutes.“ Was er damit gemeint hat, finde ich nicht heraus. Hat er es für demokratischen Fortschritt gehalten? Jeder könne – für kurze Zeit zumindest – berühmt sein? Wollte er damit seine eigene Berühmtheit relativieren? Meinte er, dass die Medien jeden zum Star machen können? Dass jeder automatisch, allerdings nicht auf Dauer, als Star betrachtet wird, wenn er nur im Fernsehen ist? War es das, was Klaus Liebig wollte? Endlich „jemand sein“, ein Star eben?
Ich sollte mit ihm reden. Wenn er sich derart nach Öffentlichkeit sehnt, hat er vielleicht gar nichts dagegen, wenn ich seine Geschichte im „Magazin“ bringe. Das Porträt eines jungen Mannes, der sich wegen MillionenKochen beinahe das Leben genommen hat? Mira, so eine Story ist Voyeurismus pur.
Ich spähe durch meinen Grünpflanzen-Dschungel zu den anderen Schreibtischen im Großraumbüro. Ulli tippt mit finsterer Entschlossenheit in ihren Computer, sie ist Wirtschaftsredakteurin, was bei uns bedeutet: sie kümmert sich um griffige Storys aus der Welt der Wirtschaftsmacher. Wahrscheinlich die 111. Geschichte über unseren Finanzminister. Wir machen Menschen populär oder zumindest bekannter, wir brauchen sie, um unser Geld zu verdienen, sie brauchen uns, um weiter in der Öffentlichkeit eine Rolle zu spielen.
Warum nicht die Geschichte eines Beinahe-Selbstmörders wegen einer Kochshow? Es gibt eine Menge Menschen, die das gerne lesen würden. Denke ich schon wie unser Chefredakteur? Vielleicht habe ich ja bereits seine Krankheit und die einiger Streber im „Magazin“: Auflagen-Hysterie.
Das Telefon läutet. Es ist Vesna. Ich atme auf. Sie wird mich auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Vesna ist meine Freundin. Und meine Putzfrau. Manchmal habe ich den Eindruck, nur sie mit ihrem praktischen Verstand kann meine ungeordneten Gedanken zusammenräumen. Ich beginne schon zu erzählen, aber sie unterbricht mich.
„Bitte komm in mein Büro, dringend. Am Telefon will ich nicht viel sagen, nur: Ist Jana meine Tochter, ist in große Probleme. Das dumme Mensch. Matura nur mit Ach und Krach, so gut war sie bisher, gleich gut wie ihr Zwilling, und jetzt! Ist nicht immer schön, Mutter sein, verdammt einmal. Du hast Zeit?“
Normalerweise spricht Vesna fast perfekt Deutsch. Sie stammt aus Bosnien, ist während des Krieges auf abenteuerlichen Wegen mit einem nicht zugelassenen Motorrad nach Wien gekommen. Wenn sie die Wörter so durcheinanderbringt, ist sie sehr aufgeregt.
„Okay“, sage ich. „Ich bin in einer halben Stunde da.“ – Und dankbar für die Möglichkeit, meine Win-Sat-Reportage um ein, zwei Stunden zu verschieben.
Vesna ist seit einigen Monaten selbstständig. Vor einem Jahr hat sie die Staatsbürgerschaft bekommen und ihr Plan war, Privatdetektivin zu werden. Doch dafür hätte sie einige Jahre, sehr schlecht bezahlt, in einer Detektei arbeiten müssen, und die Arbeit bei „Zwatzl & Co“ ist ihr ziemlich rasch auf die Nerven gegangen. Untreue Ehemänner beschatten, kontrollieren, ob jemand zu Recht im Krankenstand ist oder bloß krankfeiert. Das war nicht ganz das, was Vesna vorgeschwebt war. Jetzt hat sie in zwei Räumen gleich neben ihrer Wohnung ein Putzunternehmen aufgemacht. „Sauber! Reinigungsarbeiten aller Art.“
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