Millionenkochen: Ein Mira-Valensky-Krimi
wiederholt er, „nichts bringe ich fertig, da ist es doch sinnlos, zu leben.“
Ich kann ihn nicht allein lassen. Haber aber auch null Lust, mich länger mit ihm zu unterhalten. Ich fürchte mich vor dem, was er als Nächstes tun wird. Und dass ich die Verantwortung dafür habe. „Wer kann Sie abholen?“, frage ich, als ob er sich bloß verlaufen hätte.
„Niemand. Ich warte auf den nächsten Zug.“
„Hören Sie einmal: Es gibt zwei Möglichkeiten, entweder ich verständige die Polizei und die Rettung, oder Sie sagen mir, wer Sie holen kann. Es wird doch jemanden geben. Eine Frau. Eine Freundin.“
„Meine Mutter.“
Ich atme auf. „Auch gut. Ihre Telefonnummer?“
Er kramt in seiner Hosentasche, schaltet ein Mobiltelefon ein. Ruft selbst an. „Hallo Mutter. Holst du mich bitte? – Beim Bahnübergang zwischen Georgendorf und Unterthal. – Mein Auto? Erzähl ich dir dann. – Wann? Egal.“
„Gleich!“, schreie ich.
„Was? Ja, eine Frau. Aber die fährt wieder. – Ja. Okay. – Nein, alles okay.“ Er sieht mich spöttisch an. „Okay – hat sich schon jemals jemand Gedanken darüber gemacht, was das bedeutet? Wie viel mit diesem Wort gelogen wird?“
„Wohnt Ihre Mutter weit von hier?“
„Keine Sorge, es sind bloß zehn Minuten. Sie können schon fahren.“
„Sie brauchen Hilfe.“
„Davon hab ich genug.“
Meint er jetzt, er hat die Nase voll von Hilfe, oder dass er ausreichend Hilfe hat? Er starrt mich an, als nähme er mich jetzt erst wahr. „Sie … sind weiß gekleidet …“
Vielleicht ist er verrückter, als er aussieht, hält mich für eine Irrenwärterin. Und wer weiß, wen er angerufen hat. Ich bin hier ganz allein mit ihm, sehe mich um. Zu meinem Auto sind es 50 Meter, ob ich schnell genug bin?
„Fête Blanche“, sagt er, „die Party in Weiß von den Win-Studios. Sagen Sie nicht, dass Sie dorthin gehen.“
Ich überlege krampfhaft, welche Antwort am klügsten wäre. „Warum?“ frage ich dann.
„Weil …“, er sinkt zu Boden, schluchzt, „das ist ja der Grund. Ich bin hinausgeflogen, haben Sie es nicht gesehen? Ich habe eine graue Kochjacke angehabt. Sie wollten nicht, dass ich es schaffe …“
„Was?“
Er bleibt am Boden sitzen, sieht zu mir auf, hat sich wieder etwas gefangen. „Na bei MillionenKochen. Ich war schon in Runde 7. Ich hab gegen Anna-Maria Bischof locker gewonnen. Drei Hauben hat sie, zwei Sterne, aber ich kann eben wirklich kochen.“ Er schreit: „ICH KANN ES! Bei den Fragen haben sie mich gelegt. Da war eine, die kommt in keinem Vorbereitungsprogramm vor. Sie kennen doch sicher diese Programme im Internet, mit denen man sich auf MillionenKochen vorbereiten kann?“
Ich schüttle den Kopf.
„Sie haben mich gefragt, was Vesiga ist!“
Ich sehe ihn ratlos an. Er spinnt. Und zwar kräftig. Und ich bin nicht zur Lebensretterin geboren. So sorry.
Er springt auf, steht mir gegenüber, sein Gesicht nur zehn Zentimeter von meinem entfernt, Erdspuren an der Wange, wütend. „Das Rückenmark vom Stör! Vesiga ist das Rückenmark vom Stör! Das steht nirgendwo, das ist eine ihrer Killerfragen, darüber wird schon lange im Netz geschrieben, dass es diese Killerfragen gibt für Kandidaten, die sie loswerden wollen. Diese aufgedonnerte Moderatorin hat mich von Anfang an nicht leiden können!“
Ich mache zwei Schritte zurück, versuche den nötigen Abstand zwischen unsere Gesichter zu bringen. Ein Auto nähert sich, wird langsamer. Soll ich zur Straße rennen und rufen? Den Lenker aufhalten, „Hilfe, ein Selbstmörder“ schreien? Oder kommt schon seine Mutter? Es ist ein grüner Lieferwagen. Der Lieferwagen rumpelt über das Zuggleis und verschwindet Richtung Unterthal. Drei Orte weiter stehen die Win-Studios. Vor einer halben Stunde noch hätte ich nie gedacht, dass ich mich nach ihnen sehnen würde.
„Wie heißen Sie?“, frage ich.
„Klaus Liebig. Es kommen nicht viele bis in die Runde 7. Ich hätte 300.000 Euro gewonnen, wenn ich alle drei Fragen hätte beantworten können. Plus die 225.000 aus den Vorrunden. Man hat mich um Autogramme gebeten. Es haben erst fünf Kandidaten die 7. Runde geschafft. Die 8., die letzte Runde, die hat noch keiner geschafft. Ich hätte gegen einen der ganz Großen gekocht, gegen den Witzigmann oder so. Und dann noch drei Fragen und …“
„Und was dann?“
Ein Auto nähert sich viel zu schnell, es bremst lautstark. Porsche Boxster. Ich bin nicht gerade eine Autokennerin, aber ein Porsche fällt mir
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