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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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unvorstellbar war, dass meine Familie nicht immer zusammen sein würde. In die Zeit, als meine Welt aus unserer Farm bestand, aus jenen hundertsechzig Hektar Land in British Columbia, die, tief in den Cascade Mountains gelegen, einem engen Tal abgetrotzt waren. Alles andere, die knapp fünf Kilometer nördlich gelegene Stadt Atwood mit ihren zweitausendfünfhundert Einwohnern, schien nur den Hintergrund für unsere heile Welt abzugeben. So kam es mir jedenfalls vor, bis ich fast fünfzehn war.
    Das ist die Zeit, in der die Erinnerungen an »Danach« einsetzen.
    Manchmal vergehen Wochen, Monate, sogar Jahre, und ich tue so, als wäre nichts davon geschehen. Und manchmal glaube ich es sogar.
    Dennoch ist es unmöglich, diesen Sommertag des Jahres 1966 zu vergessen. Den Tag, der die Zeit, als meine Familie heil und in Ordnung war, von jener trennte, als nichts mehr so war wie zuvor.
    Der Anfang jener Kette von Ereignissen, die unser ganzes Leben umkrempeln sollten, war keineswegs welterschütternd. Eine Zeit lang hatte dieser Anfang sogar etwas Schönes.
    Danach sollte Mom alles, was geschah, auf die Welt schieben, die bis zu unserer kleinen Farm vordrang. Neue Highways wurden gebaut, und unsere Stadt sollte mit dem Trans-Canada Highway verbunden werden. In den East Kootenays wurden Täler geflutet und Staudämme errichtet, die eine aufstrebende Provinz – und, wie mein Vater sagte, »unseren machthungrigen Nachbarn im Süden« – mit Elektrizität versorgen sollten.
    »Hier gibt es zu viele Jobs.« So brachte Mom an jenem Abend beim Essen ihre Besorgnis zum Ausdruck, weil der Farmarbeiter Jake, der bei uns gewesen war, solange ich denken konnte, ohne Vorwarnung seinen Abschied genommen hatte. »Wer wird da schon Lust haben, auf einer kleinen Milchfarm irgendwo tief in der Pampa zu arbeiten?«
    »Wir schaffen das schon«, sagte Dad. »Morgan und Carl springen für ihn ein, und Natalie kann in der Molkerei helfen.« Er beugte sich vor und tätschelte Mom die Hand.
    »Nein.« Mom wich zurück und stand auf, um die Kaffeekanne zu holen. »Du vergrößerst die Herde immer weiter, und meine Jungs sollen immer früher von der Schule abgehen. Zumindest einer meiner Söhne wird den Highschoolabschluss machen.« Sie unterließ es hinzuzufügen: »… und dann auf die Universität gehen.« Von diesem Traum sprach sie nicht mehr. Carl war ihre letzte Hoffnung.
    Und so stellte sie den Ersten und Einzigen ein, der auf ihr Zweizeileninserat im Atwood Weekly angerufen hatte. »Er hat eine schöne Stimme«, sagte sie, als sie es uns an jenem Julimorgen mitteilte. Dann, als wäre es ihr eben noch eingefallen, fügte sie hinzu: »Er ist Amerikaner.«
    Ich warf einen Blick zu meinem Vater hinüber. Seine dichten Augenbrauen hoben sich, während er ihre Worte verdaute. Meine Eltern waren gegensätzlicher Meinung über die Tatsache, dass junge Amerikaner sich der Einberufung entzogen und in Kanada Zuflucht suchten. Ich fragte mich, ob ich jetzt einen richtigen Streit zwischen meinen Eltern erleben würde. Dad war selten mit Mom böse, aber sie traf ja auch selten eine Entscheidung, ohne sich vorher mit ihm zu beraten. Schon gar nicht, wenn sie wusste, dass er eine vorgefasste Meinung über ein Thema hatte. Er sagte nichts. Doch an der Art, wie er aufstand, sich seinen Snap-brim – den Hut mit der breiten Krempe – vom Haken an der Tür schnappte und auf den Kopf stülpte, erkannte ich, dass er nicht gerade erfreut war.
    »Na«, sagte Mom, nachdem die Küchentür hinter Dad und Carl zugefallen war, »das ist wohl noch einmal gut gegangen, hm, Natalie?« Dann setzte sie, während sie ihre Gummihandschuhe überzog, eine ernste Miene auf und sagte: »Ich weigere mich, noch einen Sohn an diese Farm zu verlieren.«
    Seit dem Augenblick, da meine drei Brüder einen Eimer tragen konnten, waren sie Geiseln des Melkplans. Jeden Morgen standen sie auf, wenn es noch dunkel war, stapften über den kalten Linoleumboden des oberen Schlafzimmers und schlüpften in ihre Overalls. Ich glaube heute noch, dass Boyer in seinen Kleidern schlief.
    Boyer, der älteste meiner Brüder, hatte ein eigenes Zimmer – eher ein Kabuff – auf dem Dachboden. Als er zwölf war, hatte er es satt, sein Zimmer mit Morgan und Carl zu teilen, und richtete sich zwischen den Dachsparren ein eigenes Nest ein. Er zimmerte sich eine primitive Holzleiter, über die er durch ein Loch in der Flurdecke hinaufkletterte. Mit vierzehn baute er dann eine richtige

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