Mina_Hepsen_03-Unsterblich wie die Liebe
festzuhalten. »Nein! Nein, bitte
nicht!«
Er versetzte ihr mit
dem Handrücken eine Ohrfeige, und das Mädchen wurde zu Boden geschleudert. Nell
konnte es nicht mehr ertragen. Sie wusste nicht, was sie mit der Kleinen
vorhatten, wusste nicht, ob sie diese Nacht überleben würde. Tapfer rappelte
sie sich auf die Beine.
»Nehmt mich!«, rief
sie.
Eine tiefe Stille
trat ein. Keiner rührte sich. Sämtliche Blicke waren auf sie gerichtet, einige
voller Zorn, andere hungrig.
»Aber bitte, gern«,
verkündete eine glatte Stimme. Nell starrte zur Treppe, wo in diesem Moment ein
blonder Mann auftauchte. Er hatte jemanden bei sich. Nell schaute genauer hin
und erschrak. Es war Mikhail! Er stand an der Seite des Blonden, als wären sie
alte Bekannte. Nell hätte es beinahe geglaubt, doch dann bemerkte sie den
gequälten, sorgenvollen Ausdruck in Mikhails Augen.
»Nikolai, kette die
Dame los, sie möchte an unserer Zeremonie teilnehmen!«
Ein Mann kam hinter
einem der Tische hervorgesprungen und eilte zu ihr. Das musste Nikolai sein,
dachte Nell. Grinsend beugte er sich über sie, packte die Kette und riss sie
kurzerhand aus ihrer Verankerung in der Wand. Als er ihren geschockten
Gesichtsausdruck sah, lachte er hämisch. Dann gab er ihr einen Schubs zur
Hallenmitte hin.
Mikhail nahm neben
dem Blonden Platz, der sich in dem thronähnlichen Sessel niedergelassen hatte.
Offenbar war er der Anführer dieser Bande. Nell erinnerte sich an ihre Vision: Das musste
Ramil sein. Die drei Mädchen wurden beiseite gezerrt, und Nell wurde
gezwungen, sich vor Ramil aufzustellen. Ihr Blick huschte
automatisch zu Mikhail. Seine Miene war
angespannt, undurchdringlich.
»Freunde«, hob Ramil an, »in
zwei Tagen werden die Verräter, die sich Clanführer nennen, in unserer
Hand sein,
und wir werden das Urteil über sie fällen. Aber heute Nacht wollen wir den Tod
von drei großartigen Vampiren betrauern und dem Leben
huldigen!«
Nell sah Mikhails
Augen zornig aufblitzen, und ihr Magen krampfte sich vor Sorge um ihn zusammen.
»Aber jetzt«, fuhr
Ramil fort, »wollen wir unsere char mante Blutspenderin nicht länger warten
lassen. Tritt vor.«
Die Vampire begannen
zu lachen, und Nells Blick hing entsetzt an ihren Fangzähnen. Nikolai gab ihr
einen Stoß in Richtung Ramil, der die Hand nach ihr ausgestreckt hatte. Seine
Augen funkelten, braune Augen, die sich von den schwarzen seiner Genossen
unterschieden.
»Den Arm, wenn ich
bitten darf«, befahl er grinsend.
Nell sah, wie der
Vampir, der die Mädchen hergebracht hatte, mit seinem Dolch vortrat, aber Ramil
schüttelte den Kopf. »Nicht nötig, diese reizende junge Dame hat sich
freiwillig gemeldet. Sie will uns nur helfen. Kein Grund, ihr unnötige
Schmerzen zuzufügen.«
Unnötige Schmerzen. Nell blickte sich
schaudernd um. Die wunderschöne Frau, die zu Ramils Linker saß, funkelte sie
wütend an, mehrere andere Vampire lächelten, und Mikhail - sein unmerkliches
Nicken gab ihr Kraft. Sie trat einen Schritt vor, bis ihre Oberschenkel den
Tischrand berührten, und hielt Ramil ihren Arm hin.
Erwartungsvolles
Schweigen senkte sich über den Raum. Ramil führte ihr Handgelenk an seinen
Mund, die Augen durchdringend auf sie gerichtet. Nell stockte der Atem. Sie
sah, wie sich diese Augen schwarz verfärbten, wie er seine Fangzähne entblößte.
Behaglich schnuppernd schloss er die Augen. Nells Herz pochte vor Angst, und
sie zuckte unwillkürlich zurück, aber er hielt sie fest gepackt. Ihr Blick
suchte automatisch Mikhail.
»Mikhail«, flüsterte
sie, in genau dem Moment, in dem der Vampir zubiss. Auch Nell schloss
unwillkürlich die Augen. Eigenartige Gefühle durchströmten sie, widerstreitende
Gefühle. Das Blut rauschte ihr durch die Adern, ihre Haut begann zu kribbeln,
und ihr wurde schwindelig. Auf einmal hörte das starke Saugen auf. Nell schlug
die Augen auf und sah, dass Ramil ihr Handgelenk über die schwarze Schale
hielt. Die Stille wurde nur unterbrochen durch das schwere Atmen der anwesenden
Vampire und das leise Wimmern der drei Mädchen. Ihr Blut tropfte stetig in die
Schale. Als der Fluss abnahm, drückte Ramil ihr Handgelenk und presste noch
mehr hervor. Kurz darauf ließ er sie los.
»Danke«, sagte er
höflich und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. Dann bedeutete er
Nikolai, die Schüssel fortzunehmen.
»Und jetzt geh zurück
in deine Ecke«, befahl er gelassen.
Nell blinzelte. Ihr
war ganz schwach vom Blutverlust, und sie wusste nicht, was sie jetzt
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