Mina_Hepsen_03-Unsterblich wie die Liebe
ging damit zu einem der beiden
Waschbecken.
»O bitte, Lady Bruce,
kümmern Sie sich doch nicht darum, ich wollte sowieso sauber machen!«, flehte
Nell erschrocken. Sie stellte ihre Schüssel hin und wollte der Lady den Löffel
wegnehmen, doch diese kehrte ihr kurzerhand den Rücken zu und begann das
Rührinstrument zu reinigen.
»So ein Unsinn, Nell!
Ich darf Sie doch Nell nennen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort:
»Ich habe fast mein ganzes Leben lang selbst sauber gemacht, da wird mich ein
Kochlöffel schon nicht umbringen.«
»Ach.«
Etwas Intelligenteres
fiel Nell beim besten Willen nicht ein, aber das war schließlich auch kein
Wunder. Was hatte eine feine Dame in der Spülküche zu suchen, eine Dame, die
obendrein behauptete, ihr Leben lang ihr Geschirr selbst abgewaschen zu haben?
Aber das war nicht der wahre Grund für Nells Nervosität. Sie hoffte inständig,
dass Lady Violet den gestrigen Vorfall nicht erwähnen würde. Nell war nach der
Sache mit der Vase geflohen wie ein Hase. Und war erleichtert gewesen, als
sie feststellte, dass man ihr nicht folgte. Verlegen war sie in einem Winkel
der Eingangshalle stehen geblieben, bis eine Haushälterin auftauchte und ihr erklärte,
die Hausherrin habe sie gebeten, sie auf eins der Gästezimmer zu führen.
Nell war ein Stein
vom Herzen gefallen. Mehr als das, sie war überglücklich gewesen. Man wollte
sie also nicht aus dem Haus werfen. Zumindest noch nicht. Dennoch hatte sie
während der Nacht kein Auge zugetan. Die halbe Zeit hatte sie am Fenster
verbracht und nach draußen gestarrt, immer wieder in die Zukunft schauend, um
sicherzugehen, dass nicht noch mehr Mörder auftauchten.
»Ich kann mich nicht
erinnern, wann mich zum letzten Mal ein so köstlicher Duft geweckt hat«,
unterbrach Lady Violet das eingetretene Schweigen.
»Ach?« Junge, Junge,
sie war aber heute besonders eloquent!
»Ja, es riecht
einfach herrlich. Die Rosen habe ich natürlich sofort gerochen, aber als Sie
sie mit diesem braunen Zucker und Zimt und Muskatnuss vermischten ... hmm!
Himmlisch. Wo haben Sie so gut backen gelernt?«
Eine Unterhaltung
übers Backen hatte Nell nicht erwartet, doch sie antwortete bereitwillig. »Von
meiner Mutter.«
»Tatsächlich? Es ist
nur, ich habe noch nie erlebt, dass jemand Rosen zum Backen oder Kochen
verwendet. Das heißt, einmal schon. Als mein Vater mich Lokum kosten ließ, ein
türkisches Dessert, das aus Rosenwasser, Pistazien und Haselnüssen hergestellt
wird. Einfach göttlich.«
Als Nell merkte, wie
unbekümmert sich Lady Violet mit ihr unterhielt und wie viel Freude sie an
süßen Sachen hatte, entspannte sie sich ein wenig. »Das klingt wirklich
köstlich.«
»O ja! Aber als ich
es damals probierte, wusste ich sofort, dass wir es hier nicht herstellen
können«, erklärte Violet sehnsüchtig.
»Wieso denn nicht?
Wenn man das Rezept kennt?«
Die Lady schüttelte
den Kopf. »Nein, denn wissen Sie, als ich Lokum probierte, merkte
ich sofort, dass das Geheimnis nicht im Rezept, sondern in den Zutaten lag. Die
Milch stammte von einer Kuh, die in einem sonnenbeschienenen Tal mit blühenden
Mohnblumen weidete, der Weizen hatte die besondere Würze der türkischen Erde in
sich aufgenommen, und die Pistazien schmeckten nach den Wüsten Persiens. Whisky
entfaltet doch auch nur dann den richtigen Geschmack, wenn bei seiner
Herstellung Wasser aus den schottischen Highlands verwendet wurde. Und genauso
verhält es sich mit Lokum, es ist untrennbar mit dem türkischen
Land verbunden.«
Nell blinzelte
verwirrt. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie all das herausgerochen haben, als
Sie dieses Dessert aßen?«
Violet strich sich lächelnd
das lange, rabenschwarze Haar zurück. Dann beugte sie sich vor und schloss die
Augen. Fasziniert beobachtete Nell, wie ihre feinen Nasenflügel bebten. Die
exotische Frau schlug ihre großen grünen Augen auf und blickte Nell direkt an.
»Sie haben auf dem
Weg hierher große Ängste ausgestanden, stimmt's? Und Sie haben seit geraumer
Zeit nichts mehr gegessen, Sie Arme. Und dieses Fischbrötchen ... Stammte das
von Lady Denver? Ich dachte, ich hätte es gestern Nachmittag an ihr gerochen,
kurz bevor sie ging.«
»Woher wissen Sie
das? Es stimmt, sie hat kurz nach unserer Abreise ein Fischbrötchen in der
Kutsche verzehrt. Aber das war schon vor zwei Tagen! Sie können das unmöglich
jetzt noch riechen!« Nell starrte ihr Gegenüber mit großen Augen an.
»Der Geruch haftet
Ihrem Kleid an.«
Nell
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