Mina_Hepsen_03-Unsterblich wie die Liebe
lachte, sie
konnte nicht anders. Das war unmöglich! »Sie können den Geruch eines Brötchens
an meinem Kleid riechen, das jemand anders vor zwei Tagen in meiner Gegenwart
verzehrt hat?«
»Ja«, antwortete
Violet ernst. »Ich kann Dinge aus meilenweiter Entfernung riechen, auch lange
nachdem die Quelle des Geruchs gekommen und wieder gegangen ist. Und Sie, meine
liebe Nell, können in die Zukunft schauen.«
Nell blieb das Lachen
im Halse stecken. War es möglich?
»Ich wollte, dass Sie
das über mich erfahren, Nell. Ich finde es nur fair, nachdem wir Sie gestern
Abend zwangen, uns Ihr Geheimnis preiszugeben. Das kann nicht leicht für Sie
gewesen sein.« Violet schnupperte genüsslich. »Wäre es möglich, dass ich ein
Stück davon bekomme, wenn es fertig ist?«
Nell war ihr dankbar
für den Themenw echsel. Lady Violet war eine
höchst ungewöhnliche Frau, so viel stand fest. Und eine verwandte Seele, so
seltsam ihr das auch erschien. Ach, bei den Mätressen des französischen Königs, wie hatte sie
es bloß in diese Küche verschlagen, wo sie diese mehr als seltsame Unterhaltung
mit dieser wunderschönen exotischen Frau führte?
»Na ... natürlich«,
stammelte Nell. Doch dann gab sie sich einen Ruck; schließlich war sie sonst
auch nicht so schüchtern. Nell stellte die Frage, die sie am meisten plagte:
»Wer sind die Männer, die den Kindern etwas Böses antun wollen?«
Violet verzog das
Gesicht. Dann befeuchtete sie Zeigefinger- und Daumenspitze und löschte Nells
Kerze. Es war mittlerweile hell geworden, und die Morgensonne schien durch die
großen Fenster über der Spüle herein. Auch kündigten zahlreiche Geräusche das
Erwachen des Hauspersonals an.
»Ich weiß nicht, wer
sie sind, ich weiß nur, dass sie Übles im Sinn hatten. Aber das ist vorbei.«
»Ja, hat man sie denn
erwischt? Alle?«
Die Lady nickte
langsam. »Ja. Mein Mann hat eine von ihnen zum Reden gebracht, und sie hat die
Namen ihrer Mitverschwörer verraten. Sie wurden alle festgenommen. Die, von
denen Sie und Mikhail verfolgt wurden, waren offenbar die Letzten.«
»Aber das ist ja
großartig!«
»Ja«, lächelte
Violet, doch ihre Miene verriet Besorgnis.
»Da ist noch was?«,
fragte Nell.
»Nein. Doch. Ach, ich
weiß nicht. Patrick hält mich für paranoid, aber irgendwie habe ich das Gefühl,
dass es noch nicht vorbei ist. Und ich bin nicht die Einzige; Angelica geht es
ebenso.«
Zu Nells Überraschung
ergriff die Lady ihre Hände.
»Mikhails Brief war
zwar nur vage, aber er hat uns immerhin mitgeteilt, dass Sie ihm bei der Sorge
um die Kinder behilflich waren, dass Sie ihnen ein Versteck boten. Nell, ich
weiß, Sie haben bereits mehr für unsere Familie getan, als sich je entgelten
lässt, dennoch möchten sowohl Angelica als auch ich Sie bitten, noch ein
Weilchen bei uns zu bleiben. Es würde uns immens beruhigen, wenn Sie ... nun,
wenn Sie ein Auge auf die Kinder haben könnten.«
Nell wusste, was Lady
Violet meinte: ein Auge auf die Zukunft der Kinder. Aber das störte sie
nicht.
»Ich habe die Kinder
sehr lieb gewonnen, Lady Violet. Ich bleibe sehr gerne.«
Abermals wurde Nell
von der Lady überrascht, diesmal mit einer Umarmung. Nell fühlte sich
eigenartig getröstet. Ihre neue Freundin verzog die Nase, als sie sie wieder
losließ. »Wir sollten besser Angelica wecken. Lady Denver wird bald über uns
hereinbrechen. Ich weiß wirklich nicht, was Mikhail an ihr findet.«
Nell hatte plötzlich
das Gefühl, ein eisiger Wind würde über sie hinwegstreichen, und sie schlang
die Arme um ihren Oberkörper. »Was meinen Sie damit?«
»Mikhail
und Caroline - Lady Denver. Sie waren vor einiger Zeit
unzertrennlich. Und wenn es stimmt, was sie behauptet, dann dürfte es bald
ernst zwischen ihnen werden.«
»Ach.« Nell war mal
wieder die Sprache abhandengekommen, diesmal jedoch aufgrund ihres wild
klopfenden Herzens.
»Nicht dass es mich
nicht freute, wenn er endlich heiraten würde, aber - Caroline? Sie sieht gut
aus, natürlich .« Lady Violet hatte noch mehr zu sagen, aber Nell hörte nicht
länger hin. Wie betäubt folgte sie ihr und fragte sich dabei, wann- der
Schmerz in ihrer Brust wohl wieder aufhören würde.
28. Kapitel
Bei Marco Polo und seiner gesamten Mannschaft!, dachte Nell
ergrimmt, will die Frau denn überhaupt nicht mehr gehen? Von ihrem Platz in
der Zimmerecke aus beobachtete Nell, wie Lady Denver einmal mehr ihr schrilles
Lachen ausstieß, ein Lachen, das so gut wie nichts mit Belustigung zu
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