Mindstar 02 - Das Mord-Paradigma
Schafe und Lamas zusammengetrieben hatte.
Blitze zuckten über das Tal, und ausgefranstes Plasma zerriß die Dunkelheit. In dem Licht tauchte die kleine taubenblaue geodätische Kuppel auf, die wie ein barocker technischer Wachtposten auf der Bergkuppe über dem Tal hockte. Nicholas konnte erkennen, daß ein paar der sechseckigen Platten fehlten. Der dort untergebrachte Gravitationswellendetektor war schon lange aufgegeben worden. Auf dem Höhepunkt des Sommers suchten Schafe in der Kuppel Schatten.
Wieder fuhren Blitze über den Himmel, zuckten blau-weiße Gabeln herunter und erweckten den Eindruck, das Firmament selbst würde zersplittern. Einer der Blitze war so hell, daß er Nicholas blendete. Er fuhr vom Fenster zurück und versuchte, sich mit den Fingerknöcheln die purpurfarbenen Kleckse der Nachbilder aus den Augen zu reiben.
Donner krachte, und die Fensterscheibe bebte. Das Farmauto war nicht mehr zu sehen. Feuchtigkeit beschlug die Fenster.
Nicholas wandte sich nur zögernd von dem Monsun ab, noch im Griff der ewigen Kinderehrfurcht vor den Elementen. Er drehte die Klimaanlage auf, um die sich überall ausbreitende Feuchtigkeit abzumildern, schaltete Musik von Bil Yi Somanzer auf seinem Deck ein und kehrte an den Schreibtisch zurück. Sein Zimmer lag im obersten Stock der Abtei. Es war ein großer L-förmiger Raum mit alten, aber teuren Möbeln. An einem Ende schloß sich ein kleines, eigenes Bad an. Das Bett war eine große kreisförmige Angelegenheit und reichte mühelos für zwei, was Nicholas in schlaflosen Nächten oft dazu trieb, über Isabel nachzudenken. Auf der Kupferplatte eines Tisches unter dem Fenster wuchs eine Ansammlung großer kugelförmiger Kakteen in roten Tontöpfen. Nicholas war leicht besorgt, daß er sie nicht richtig goß, denn sie zeigten bislang keine Spur von den Blüten, auf die er nach Kitcheners Anweisungen achten sollte.
Er hatte nur wenige Sachen selbst mitgebracht – ein paar große Rockband-Holodrucke, sein Musikdeck, reproduzierte Sternkarten, ein paar Nachschlagewerke (aus Papier). Seine Kleider füllten nicht einmal den halben Schubladenraum der massiven Eichenkommode, und der Kleiderschrank war fast leer. Als er hier eintraf, war er zu nervös gewesen, um viele persönliche Habseligkeiten mitzubringen, da er nicht recht wußte, welche Freiheiten Kitchener duldete – schließlich war die Abtei alles andere als eine Studentenbude. Natürlich wußte Nicholas inzwischen, daß der alte Knabe sich nicht darum scherte, was die Studenten auf ihren Zimmern anstellten; zumindest behauptete Kitchener das.
Bil Yis Angel High hämmerte aus den Lautsprechern hervor und übertönte den Sturm mit heulenden Gitarrenmotiven. Nicholas schaltete sein Desktop-Terminal ein, ein wunderbares Stück Hardware, ein Hitachi-Modell der Spitzenklasse mit holographischen Zwillings-Projektionskuben von Studioqualität. Mit Hilfe der Tastatur verschaffte er sich Zugang zum Speicherkern der CNES-Einsatzleitung in Toulouse und rief die jüngsten Aufnahmen des Astronomie-Satelliten Antomine 12 ab. Eine Karte aus Gammastrahlenquellen füllte langsam einen der Kuben, und er startete das Frequenzanalyseprogramm. Es war ein wunderbares Gefühl, jeden öffentlichen Speicherkern auf dem Planeten abfragen zu können, ohne sich um den Fachbereichsetat sorgen zu müssen. Auf der Universität hätte man vor einer solchen Abfrage Rücksprache bis hinauf zum Dekan nehmen müssen. Kitchener mußte phänomenale Datenkosten haben, aber seine Studenten brauchten nur für die eigene Kleidung und die Nebenkosten aufzukommen.
Nicholas’ Subroutinen sprangen auf den zweiten Kubus über, und er machte sich daran, sie zu integrieren. Kitchener fragte vielleicht beim Abendessen danach, welche Fortschritte sein Gravitationslinsen-Forschungsprojekt machte, und irgendeinen Bericht wollte Nicholas für diesen Fall bereit haben. Der alte Knabe tolerierte keine Dummköpfe, geschweige denn, daß er es gern tat. Allein diese Tatsache bewirkte Wunder für Nicholas’ Selbstachtung. Er wußte, daß er gescheit war; sein mühelos errungener formaler erster Grad in Cambridge bewies das, aber als Nachteil schlugen dabei die Mühen zu Buche, die es ihm bereitete, sich dem sozialen Leben auf der Uni anzupassen. Er zog sein Studium stets der Politik und dem Kulturfanatismus der Mitstudenten vor. Das Eremitentum eines Bücherwurms war auf der Uni jedoch okay; man ging in der Masse unter und fiel niemandem auf. In Launde war
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