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Mio, mein Mio

Mio, mein Mio

Titel: Mio, mein Mio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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alter schwarzer Baumstamm ganz dicht neben uns. Er war hohl. Und bevor ich noch wußte, wie es geschah, saßen Jum-Jum und ich in dem ausgehöhlten Stamm, eng aneinandergekauert. Wir saßen da, zitternd wie zwei Vogelkinder, wenn der Habicht kommt. Ganz nahe waren uns die Späher, und wir konnten hören, was sie sagten.
    »Ich hörte jemanden im Toten Wald reden«, sagte einer von ihnen. »Wer ist es, der im Toten Wald spricht?«
    »Der Feind ist mitten unter uns«, sagte ein anderer. »Es kann nur der Feind sein, der im Toten Wald spricht.«
    »Der Feind? Ist der Feind im Toten Wald, so werden wir ihn bald fangen«, sagte ein dritter. »Sucht, sucht überall!«
    Und wir hörten, wie sie zwischen den Bäumen suchten und suchten. Wir hörten draußen die schleichenden Schritte der Späher, und wir saßen im Baum und waren so winzig und so voller Angst.
    Sie suchten und suchten, doch sie fanden uns nicht. Ihre Stimmen entfernten sich und wurden schwächer. Dann war es still. Der hohle Baum hatte uns gerettet.
    Warum hatte der Baum uns gerettet? Ich begriff es nicht. Vielleicht haßte der ganze Tote Wald den Ritter 103
    Kato und wollte gern dem helfen, der kam, um gegen ihn zu kämpfen. Vielleicht war dieser tote Baum einmal ein frischer junger Baum mit vielen grünen Blättern gewesen, die gerauscht hatten, wenn der Wind in seinen Zweigen spielte. Vielleicht hatte Ritter Katos Bosheit ihn zerfressen und getötet. Ich glaube nicht, daß Bäume dem verzeihen können, der ihre kleinen grünen Blätter getötet hat. Sicher half deshalb dieser Baum hier dem, der kam, um gegen Ritter Kato zu kämpfen. »Danke, du guter Baum«, sagte ich, als wir aus seinem hohlen Stamm krochen. Aber der Baum stand tot und stumm da und antwortete nicht. Und wir gingen weiter, weiter durch den Toten Wald.
    »Der Morgen graut bereits«, sagte Jum-Jum, »und noch haben wir die Höhle des Schwertschmiedes nicht gefunden.«
    Ja, die Nacht war zu Ende. Aber das Morgengrauen war nicht klar und hell wie zu Hause. Hier war der Tagesanbruch ein graues unheimliches Halbdunkel, das beinah Dunkelheit blieb. Ich dachte an das
    Morgengrauen auf der Insel der grünen Wiesen, wenn wir auf Miramis ausritten und das Gras feucht war vom 104
    Tau und jedes einzelne Grashälmchen schimmerte und glitzerte. Und hier, hier ging ich einher und dachte an Miramis und vergaß fast, wo ich war. Deshalb war ich gar nicht erstaunt und bekam keine Angst, als ich Hufschläge hörte. Jetzt kommt Miramis, dachte ich.
    Aber Jum-Jum umklammerte meinen Arm und flüsterte:
    »Hörst du! Die Späher reiten durch den Toten Wald.«
    Und da glaubte ich, nun sei alles vorbei. Nun gab es nichts, was uns retten konnte. Bald würden wir die schwarzen Späher zwischen den Bäumen hervorkommen sehen, und auch sie würden uns sehen. Wie der Sturmwind würden sie auf uns zureiten, sich nur herunterbeugen und uns greifen und uns auf ihre Pferde ziehen und mit uns zu Ritter Katos Burg jagen. Niemals würde ich gegen Ritter Kato kämpfen dürfen. Und schon in der nächsten Nacht würde Eno über dem See zwei neue klagende Vögel hören. Die Hufschläge kamen näher und näher. Auf einmal öffnete sich im Boden vor uns eine Spalte, und ich sah eine Erdhöhle. Und bevor ich noch wußte, wie es geschah, hockten Jum-Jum und ich geduckt in der Erdhöhle, zitternd wie zwei Hasenkinder, wenn der Jäger kommt.
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    Es war im letzten Augenblick. Wir hörten die
    Hufschläge schon ganz nah. Wir hörten die Späher über uns hinwegreiten. Gerade über die Erdhöhle ritten sie.
    Wir hörten die Tritte der Hufe, wir hörten die schweren Hufe der Pferde auf der Decke der Erdhöhle donnern.
    Einige Erdklumpen lösten sich und rieselten auf uns nieder. Und wir hockten da und waren so winzig und so voller Angst.
    Aber dann wurde es still, ganz still, als gäbe es keine Späher im Toten Wald. Lange noch warteten wir.
    »Ich glaube, wir können hinauskriechen«, sagte ich endlich.
    Doch im selben Augenblick hörten wir wieder die entsetzlichen Hufe. Die Späher kamen zurück. Noch einmal donnerten die Hufe über unseren Köpfen dahin, und wir hörten die Späher rufen und schreien. Sie sprangen von den Pferden, ja, sie setzten sich dicht neben der Erdhöhle auf den Boden. Wir konnten sie durch die Öffnung sehen. Sie waren uns so nahe, daß wir sie hätten anfassen können. Und wir hörten, was sie sagten. »Befehl von Ritter Kato, der Feind muß gefangen werden«, sagte einer von ihnen. »Der Feind, der das

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