Mio, mein Mio
und mußte deshalb zu mir zurückkommen.
Wieder teilte sich der Weg. In alle Richtungen spreizten sich neue finstere Wege. Ich irrte in ihnen umher und suchte und suchte. Ich gab mir Mühe, nicht zu weinen, denn ich war doch ein Ritter.
Aber gerade jetzt gelang es mir nicht, ein Ritter zu sein.
Ich dachte an Jum-Jum, der irgendwo in anderen finsteren Gängen umherlief und traurig war und nach mir rief, und ich warf mich auf den rauhen Felsboden und weinte genauso, wie ich geweint hatte, als die Späher Miramis mitgenommen hatten.
Nun hatte ich keinen Miramis mehr und auch keinen 115
Jum-Jum. Nun war ich ganz allein. Ich lag da und bedauerte es, in dieses Land gegangen zu sein, und ich verstand einfach nicht, warum mein Vater, der König, es gewollt hatte, daß ich mich auf den Weg machte, um gegen Ritter Kato zu kämpfen. Ich wünschte nur, mein Vater, der König, wäre dagewesen.
Dann hätte ich zu ihm gesagt: »Siehst du, wie einsam ich bin? Jum-Jum ist fort, und du weißt doch, daß er mein bester Freund ist – jetzt, wo ich Benka nicht mehr habe.
Und nun habe ich auch Jum-Jum nicht mehr. Ich bin ganz allein. Und alles nur, weil du wolltest, daß ich gegen Ritter Kato kämpfe.«
Zum erstenmal hatte ich das Gefühl, es war ein wenig ungerecht von meinem Vater, dem König, zu wollen, daß ich mich auf derartige Abenteuer begab. Aber wie ich dort lag und weinte und so dachte, da war es, als hörte ich die Stimme meines Vaters, des Königs. Gewiß, ich bildete es mir nur ein, doch mir war, als hörte ich seine Stimme. »Mio, mein Mio«, sagte er.
Mehr nicht. Aber es hörte sich an, als wolle er sagen, ich brauche nicht traurig zu sein. Und da dachte ich, vielleicht finde ich Jum-Jum trotz allem noch wieder. Ich 116
erhob mich vom Boden. Da fiel etwas aus meiner Tasche.
Es war die kleine Weidenflöte, die Nonno mir geschnitzt hatte. Meine Weidenflöte, auf der ich am Lagerfeuer auf der Insel der grünen Wiesen gespielt hatte.
Ob ich wohl jetzt auf der Flöte spielen sollte? Ob ich jetzt diese alte Melodie spielen sollte, die Nonno uns gelehrt hatte? Ich erinnerte mich, was Jum-Jum und ich zueinander gesagt hatten: Wenn wir uns jemals verlieren würden, dann wollten wir diese alte Melodie spielen. Ich setzte die Flöte an die Lippen. Aber fast wagte ich nicht zu blasen. Ich hatte Angst, die Flötentöne könnten sich auch so schrecklich verzerren wie vorhin mein Rufen.
Immerhin dachte ich, ich müsse es doch versuchen. Und ich begann, die Melodie zu spielen. Und sie erklang ganz hell. Sie erklang klar und hell und rein dort in dem finsteren Berg, schöner fast als auf der Insel der grünen Wiesen.
Ich spielte die ganze Melodie, und dann horchte ich.
Und von weit, weit hinten aus dem Berg kamen einige helle Töne als Antwort. Nur leise waren sie zu hören, aber ich wußte, es war Jum-Jum, der mir antwortete.
Niemals bin ich so glücklich gewesen. Ich spielte weiter, 117
und obgleich ich glücklich war, konnte ich doch nicht sofort aufhören zu weinen, sondern ging weiter in den Berg hinein und spielte und weinte ein wenig. Nur ein ganz klein wenig weinte ich. Und ich ging weiter und spielte und lauschte nach Jum-Jums Flöte. Manchmal hörte ich sie nahebei, und dann versuchte ich, der Richtung zu folgen, aus der die Töne kamen. Klarer und klarer, lauter und lauter hörte ich nun, von einer anderen Flöte als meiner, die alte Melodie. Und plötzlich stand in dem finsteren Gang Jum-Jum vor mir. Jum-Jum, mein allerbester Freund. Ich streckte die Hand aus und berührte ihn. Ich legte meinen Arm auf seine Schulter.
Ich wollte spüren, daß er es wirklich war. Und er war es.
Es war mein allerbester Freund. »Wenn ich Nonno jemals wiedertreffe, will ich ihm danken dafür, daß er uns Flöten gemacht hat«, sagte Jum-Jum.
»Das will ich auch«, sagte ich.
Doch dann dachte ich, wir würden Nonno sicher niemals mehr treffen.
»Jum-Jum, welchen Weg wollen wir jetzt nehmen?«
fragte ich.
»Es ist gleich, welchen Weg wir gehen, wenn wir ihn 118
nur zusammen gehen«, sagte Jum-Jum. Und genau das dachte auch ich. Wir gingen und gingen und fühlten uns nicht mehr so winzig und verwirrt, denn wir waren ja beieinander und spielten auf unseren Flöten. Hell und klar ertönte die alte Melodie im schwärzesten Berg, und es war, als wollte sie uns trösten und uns helfen, mutig zu sein.
Der Weg senkte sich nach unten und weiter nach unten.
Der schwache Schein, der uns durch den Berg geleuchtet hatte, wurde etwas
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