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Mio, mein Mio

Mio, mein Mio

Titel: Mio, mein Mio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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daliegen und weinen und heulen wie ein kleines Kind – auch wenn man mir Miramis 98
    wegnahm. Ich war doch ein Ritter. Ich war nicht mehr länger der Mio, der im Rosengarten Hütten baute und auf der Insel der grünen Wiesen über die Hügel wanderte und Flöte spielte. Ich war ein Ritter, ein guter Ritter, nicht so einer wie Kato. Und ein Ritter mußte tapfer sein und durfte nicht weinen.
    Deshalb weinte ich nicht, wenn ich auch sah, wie die Späher Miramis zum See hinunterzerrten und ihn in ein großes schwarzes Boot brachten. Ich weinte nicht, wenn auch Miramis wieherte, als peitsche man ihn. Ich weinte nicht, wenn auch die Späher sich an die Ruder setzten und ich die Ruderschläge im dunklen Wasser hörte.
    Schwächer und schwächer hörte ich sie, und weit draußen vom See her erscholl ein letztes verzweifeltes Wiehern, bevor das schwarze Boot für immer
    verschwand. Aber ich weinte nicht. Denn ich war ja ein Ritter.
    Ich weinte nicht? Doch, doch, gerade das tat ich. Ich lag dort hinter dem Felsen, die Stirn gegen den harten Boden gepreßt, und weinte schlimmer, als ich es je in meinem ganzen Leben getan hatte. Ein guter Ritter muß auch die Wahrheit sagen. Und es ist wahr, ich weinte wegen 99
    Miramis.
    Ich weinte und weinte, und sobald ich an seine treuen Augen dachte, weinte ich noch mehr. Hatte die Weberin nicht gesagt, auch die hundert weißen Pferde weinten Blut wegen des geraubten Fohlens? Vielleicht war es auch Blut, was ich weinte wegen Miramis. Das weiß man nicht. Es war ja finster. Man konnte es nicht sehen. Mein Miramis mit der goldenen Mähne! Er war weg, und ich würde ihn wohl nie mehr wiedersehen. Jum-Jum beugte sich zu mir und legte seine Hand auf meine Schulter.
    »Weine nicht mehr, Mio«, sagte er. »Wir müssen zum Schwertschmied gehen, du brauchst ein Schwert.« Es waren noch viel mehr Tränen in mir, aber ich schluckte sie hinunter. Ich schluckte, so fest ich konnte.
    Ich stand auf, und wir gingen, um den Schwertschmied zu suchen.
    »Geh durch den Toten Wald«, hatte Eno gesagt. Wo war der Tote Wald?
    »Wir müssen den Schwertschmied finden, bevor die Nacht zu Ende geht«, sagte ich zu Jum-Jum. »Die Finsternis verbirgt uns vor den Spähern. Wir müssen noch diese Nacht durch den Toten Wald.« Wir kletterten 100
    über die Felsen zurück zu Enos verfallener Hütte. Dunkel und still lag sie da. Niemand jammerte mehr darin.
    Weiter irrten wir durch die Nacht, und endlich kamen wir zum Toten Wald. Es war ein Wald, in dem der Wind nicht spielte und in dem keine Blätter rauschten. Denn es gab da keine grünen Blätter. Dort gab es nur tote, schwarze Baumstämme mit toten, knorrigen, schwarzen Ästen.
    »Nun kommen wir in den Toten Wald hinein«, sagte Jum-Jum.
    »Ja, wir kommen hinein«, sagte ich. »Aber ob wir auch wieder herauskommen?«
    Denn es war wirklich ein Wald, in dem man sich verirren konnte, ein Wald, wie man ihn manchmal im Traum sieht. Man irrt darin umher, man geht und geht und findet nie heraus.
    Wir hielten uns an der Hand, Jum-Jum und ich, während wir durch den Toten Wald irrten. Wir fühlten uns klein und verloren, und die toten Bäume standen so dicht, daß man kaum vorwärts kam. »Wenn nur die Bäume nicht so dicht beieinander stünden«, sagte Jum-Jum. »Wenn nur die Finsternis nicht so schwarz wäre und wir nicht so 101
    klein und einsam.« Wir gingen und gingen. Manchmal hörten wir in weiter Ferne Stimmen. Es waren Späher.
    Eno hatte es uns schon gesagt: Ritter Katos Späher waren überall. Sicher war der Tote Wald voll von ihnen. Und als wir sie durch die Bäume aus der Ferne hörten, da blieben wir stehen, Jum-Jum und ich, und wagten kaum zu atmen. »Wohl ist die Nacht hier im Toten Wald lang«, sagte Jum-Jum, »aber länger ist wohl der Weg zur Höhle des Schwertschmiedes.«
    »Jum-Jum, glaubst du, daß wir ihn finden … ?« fing ich an. Dann aber schwieg ich. Ich konnte kein Wort mehr hervorbringen. Denn dort zwischen den Bäumen kam eine ganze Reihe schwarzer Späher auf uns zu, und ich wußte, daß nun alles vorbei war.
    Jum-Jum sah sie auch, und er umklammerte meine Hand. Noch hatten sie uns nicht gesehen, aber bald würden sie über uns herfallen und dann – dann war alles vorbei. Niemals würde ich gegen Ritter Kato kämpfen dürfen. Und schon in der nächsten Nacht würde Eno über dem See zwei neue klagende Vögel hören. Näher und näher kamen die Späher. Wir standen da und warteten und konnten uns nicht rühren. Auf einmal öffnete sich 102
    ein

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