Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
oder es handelte sich um Fischer, die während des Überfalls auf dem Fluss gewesen waren. Als deprimierend beschrieb Múria ihre Befürchtung, die Übriggebliebenen könnten nach Ugard geflohen sein, nur um dort wenig später von den Fiederfischen zerfleischt zu werden.
»Was mich aber wirklich beunruhigt, ist die zeitliche Nähe der beiden Raubzüge«, brachte sie ihre Überlegungen auf den Punkt.
Falgon nickte. »Und mich die ungewöhnliche Art der Waffenbrüderschaft: Wilde Steppenmänner unternehmen mit wilden Fischen einen Angriff auf das Tor zur Ödnis. So etwas hat es meines Wissens noch nie gege ben.«
»Nein, mein Lieber, das ist einmalig in Mirads Geschichte.«
»Grund genug, nach Bolk zurückzusegeln«, warf Permund ein.
Damit beschwor er nur einen weiteren frostigen Blick Múrias herauf. »Wenn Wikander solche Bündnisse gegen uns ins Feld führen kann, Steuermann, dann zeigt uns das wohl doch, wie sehr wir unsere Kräfte vereinen müssen, um ihn zu besiegen.
Hältst du dein ständiges Gerede von Aufgabe und Flucht für das geeignete Mittel dazu?«
Permund hatte sich hierauf schweigend dem Studium der Holzmaserung auf der Tischplatte gewidmet.
Ohne seine Stimme wurde anschließend die Fortsetzung der Reise beschlossen. Bombo teilte mit sofortiger Wirkung doppelte Wachen ein. Auch der Ausguck wurde mit zwei Männern besetzt, die Wasser, Land und Luft nach möglichen Gefahren absuchen sollten. Schekira versprach, beim ersten Morgengrauen sofort aufzubrechen, um flussaufwärts nach Fiederfischen Ausschau zu halten.
In der folgenden Nacht lieferte sich Twikus im Traum erbitterte Kämpfe mit fliegenden Skeletten. Die Knochenmänner hatten Hautflügel wie Fledermäuse und benutzten als Waffen große, an Ketten befestigte Bärenfallen, die wie verselbstständigte Gebisse gierig nach ihm schnappten. Er parierte die heranschleudernden Eisenzähne mit seinem gläsernen Schwert – wie ein Feuer sprühender Komet zog Zijjajim einen grünen Schweif hinter sich her. Plötzlich wurde ihm seine Klinge entrissen und eine riesige Bärenfalle erschien wie ein gieriges Maul über seinem Kopf. Dann wachte er auf.
Leise schlich sich Twikus aus dem Schlafdeck, das er mit Falgon, Dormund und den Seemännern teilte, und erst in der kalten Nachtluft unter dem Sternenhimmel fühlte er sich besser.
Irgendwann stand Múria hinter ihm. Wie sie in ihrer eigenen kleinen Kajüte von seinen inneren Nöten erfahren hatte, war ihm ein Rätsel. Bis zum Morgengrauen sprachen sie über die furchtbaren Eindrücke des vergangenen Tages. Als das Sonnenrad über die grüne Uferböschung rollte, verwandelte sich die besorgte, liebevolle, wunderschöne Amme wieder in eine gestrenge Lehrmeisterin, der nichts mehr am Herzen lag als die »Entfaltung« ihrer Schüler.
Das Wasserspiel wurde für die Zwillinge zur Wasserfolter. Twikus kämpfte sich durch einen weiteren Morgen, an dem er immer wieder sein Trinkgefäß aus einem Bottich füllte, den Becher a nschließend durch Umstoßen wieder leerte, die sich daraus ergießenden Zwergflüsse zu hypnotisieren versuchte und gelegentlich das Achterdeck trockenwischte. Gegen Mittag ließ er sich allzu gern von Ergil ablösen.
Diesem erging es zunächst kaum besser als dem Bruder. Stundenlang umschlich sein Geist die Rinnsale wie der Wolf eine Herde gut bewachter Schafe; er kam an seine Beute einfach nicht heran, konnte sie kein einziges Mal zum Ausweichen zwingen. Ihr eigener Wille bestimmte den Weg. Mal wandte sie sich hierhin, mal dorthin, bis sie schließlich von einer Klippe zum Richtungswechsel gezwungen wurde – die Kajütenhütte war eben mächtiger als Múrias Schüler.
Trotzdem spornte diese ihn weiter an. Er solle nicht verzweifeln. Wasser sehe zwar nachgiebig aus, aber es sei ein unerbittliches Element. Wenn es ihm erst gelinge, einen Keil in das Heer der Tropfen zu treiben, dann könne er es auch lenken. Es dämmerte bereits, als der Ton von Múrias Stimme – hatte sie einen Fortschritt bemerkt, der ihm selbst noch nicht aufgefallen war? – beschwörend wurde. Er solle sich an das Gelernte erinnern, mahnte sie ihn einmal mehr. Es anwenden.
»Löse dich von dem Gedanken, die Zeit sei ein breiter Strom, Ergil. Für einen Sirilo ist sie mehr und auch für dich kann sie zu einem fe i n verästelten Delta werden, in dem du mit den Stauwerken deines Willens Einfluss nehmen kannst. Fühle, wohin die Tropfen im nächsten Moment rollen wollen, und setze deine
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