Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
ansehen. Habt
I h r in Ogard das Gleiche beobachtet?«
»Ja und nein. Die Stadt am Westufer ist ebenfalls menschenleer. Aber dort haben Feuer gewütet.«
»Die Salbacken«, knirschte Bombo.
Inzwischen waren der Schüler und seine Meisterin näher herangetreten und Múria fragte: »W a ren in Ugard denn keine Spuren eines Brandes zu sehen, kleine Schwester?«
Schekira verneinte.
»Das Grondfolk…?«, grübelte der Kapitän.
»Nein, Freund Bombo«, widersprach ihm die Elvin. »Die Spuren eines Heeres – selbst wenn es sich nur um eine Vorhut gehandelt hätte – wären in dem flachen Grasland unübersehbar.«
»Vielleicht sind die Bewohner Ugards einfach geflohen, als sie von der Waggarmee gehört haben.«
Schekira schloss auch diese Möglichkeit aus. »So ein Völkermarsch hätte auch Spuren hinterlassen. Klänge es nicht so unwahrscheinlich, würde ich sagen, etwas sei durch die Luft gekommen und habe die Einwohner der Stadt fortgetragen.«
Twikus durchlief ein Schauder. Wie sollte das möglich sein?
Múria nickte gewichtig. »Der Kapitän hat Recht. Wir müssen uns s e lbst ein Bild von der Sache machen. Es ist zwar bitter, unsere kostbare Zeit für einen Landgang zu opfern, aber wie sagt das Sprichwort doch so treffend? ›Der Preis der Ahnungslosigkeit kann das Leben sein.‹«
Schon als die Seskwin am späten Mittag den Landungssteg ansteuerte, spürte Twikus diese unheimliche Leere. Möglicherweise litt er ja nur unter den Folgen der dauernden Durchdringungsübungen. Seine Nerven waren wie wund gescheuert. Überempfindlich. Andererseits hätte er doch umso mehr irgendeine Spur v o n Leben wahrnehmen müssen. Aber da war nichts. Nur Friedhofsstille. Wie hatte Kira gesagt? Eine Geisterstadt.
Als das Schiff endlich vertäut an der hölzernen Kaizunge lag, begab sich ein achtköpfiger Erkundungstrupp an Land: der Kapitän, sein Steuermann und zwei weitere Mitglieder der Besatzung sowie aufseiten der Passagiere Múria, Falgon, Dormund und die Prinzen. Die Elvin zog es vor, die
»Geisterstadt« zu meiden.
Ugard war eine ländliche Gemeinde. Múria hatte erzählt, sie habe früher einmal Unter - Gard geheißen, aber der Name sei den für ihre Sparwut berüchtigten Menschen der Gegend zu lang gewesen. Während die acht Landgänger den Steg in Richtung Ufer liefen, fragten sich die Prinzen, was ein so hübsches Örtchen dermaßen still machen konnte.
Am sanft geschwungenen, sandigen Strand lagen Fischerboote wie leere Muschelschalen, die ein Riesenkind fein säuberlich aufgereiht hatte. An Stangen, die im Boden steckten, bewegten sich Netze im Wind. Von denjenigen, die sie irgendwann zum Trocknen aufgehängt hatten, f ehlte jede Spur.
Hinter einem ungepflasterten Uferweg begann eine Wiese. Aus der Entfernung gesehen wirkten die kurzen Grashalme wie mit Lineal und Rasiermesser gestutzt und die Rasenkante an der Flussseite ließ eher an ein grünes Laken denken, das dort j e mand mit der Schere dem gewundenen Straßenverlauf angepasst hatte. Das Riesenkind schien seine bunten Bauklötze über dieses Tuch ausgestreut zu haben, so willkürlich waren die Häuser angeordnet. Oft ließ sich nicht einmal ein Weg, geschweige denn eine Straße erkennen, die zu den Gebäuden führte. Die meisten waren reetgedeckt.
Dormund ließ den langen Stiel des auf seiner Schulter liegenden Hammers über den Kopf hinweg von rechts nach links wandern und deutete zu einem nahe gelegenen Schilfdach. »Seht ihr das Loc h da?«
Reihum wurde genickt.
Bald entdeckten die Kundschafter weitere Beschädigungen. Nicht nur Löcher in Reetdächern, sondern auch tiefe Kratzer in den bunt lackierten Fensterläden und Türen.
»Das gefällt mir nicht«, brummte Falgon. An seiner linken Hand, die den Eisenholzschaft des Speeres hielt, wurden die Knöchel weiß.
Múria drehte die Augen gen Himmel, warf ihm einen Seitenblick zu und sagte: »Wir sollten zunächst einmal feststellen, was da passiert ist, und dann schleunigst das Weite suchen. Kommt !«
Sie lief auf das nächststehende Wohnhaus zu. Die Tür war voller tiefer Risse und stand offen.
»Besser, ich mache das, Herrin«, sagte Falgon. Er zog Biberschwanz aus der Scheide und trat auf leisen Sohlen in das Gebäude. Als er im Dunkel des Eingangs verschwand, hielt Twikus die Luft an.
Ich halte das für keine gute Idee, jammerte Ergil. Von Anfang an war ihm der Gedanke eines Ausflugs in eine »Geisterstadt« nicht geheuer gewesen.
Wie wär’s, wenn du mal was Neues
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