Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
Moment nicht überleben.«
Ergil blickte schnell wieder auf die Furche, die das Schiff wie ein Pflug ins Wasser zog.
»Fürchtet Ihr Euch?«, fragte Bombo sanft.
»Ich kann manchm a l kaum schlafen vor Angst.«
»Alpträume?«
»Ja.«
»Mir ist es ähnlich ergangen.«
Die Augen des Prinzen richteten sich wieder auf das bärtige Gesicht. »Nachdem Eure Familie…?« I m letzte n Moment verließ ihn der Mut. Besser nicht das schmerzlichste Kapitel aus B ombos Leben ansprechen.
Aber es war schon zu spät. Der Kapitän schien sogar das Bedürfnis zu haben, die Vergangenheit für seinen jungen Zuhörer aufzurollen. Gefasst erzählte er von seiner Zeit als aufstrebender Geschäftsmann, der samt Frau und Söhnen von seiner Geburtsstadt Bolk nach Seltensund gegangen war, um die Welt zu erobern. Damals trug er noch den Namen, den seine Eltern ihm gegeben hatten: Rundar. Mit geliehenem Geld erstand dieser zwei Schiffe. Eines sollte den Kandenblood bis nach Neu - Seltensund hinab befahren, das andere die Flüsse oberhalb der Katarakte. Außerdem kaufte er im Unterhafen der Hauptstadt ein Kontor, welches Lager, Schreibstube und Wohnhaus zugleich war.
Mit Geschick eroberte sich der Kaufmann Rundar einen Platz im hart umkämpften F rachtgeschäft – Hjalgord war schon damals ein großer Fisch im Karpfenteich, der manchen kleineren schluckte. Eines Tages kam dessen Scherge Vigan ins Kontor. Sein Herr Hjalgord habe ihn geschickt, sagte das Mondgesicht mit einschmeichelnder Stimme. Er, Rundar, solle Handelswaren nach Soodland fahren. Es winkten fette Gewinne. Aber Rundar wollte nicht. Er konnte sich noch an die kluge Regentschaft Torlunds erinnern und er verachtete dessen Bruder Wikander. Es erschien ihm undenkbar, einen Thronräuber zu unt e rstützen, der nur nach einer Gelegenheit suchte, seine Herrschaft auch auf das Stromland auszudehnen. Rundar weigerte sich zu tun, was scheinbar alle taten. Er wollte lieber gegen den Strom schwimmen. Da schnappte der große Fisch zu.
In der Nacht nach der Ausschlagung des viel versprechenden Angebots waren Rundar und sein Weib Abrina einer Einladung des Königs zu einem Empfang gefolgt. Das Fest hatte gerade seinen Höhepunkt erreicht, als plötzlich Unruhe unter den Gästen entstand. »Feuer im Unterhafen!«, wurde allseits geraunt. Sofort verließen Rundar und Abrina den Palast.
Als sie das Kontor erreichten, war es bereits bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Ihre zwei Söhne Gindar und Radin hatten in den Flammen den Tod gefunden. Zeugen berichteten von einem fetten Mann mit bleichem Mondgesicht, der auf der Straße gestanden und zugesehen habe, wie die Kinder im oberen Stockwerk um Hilfe schrien.
Über Nacht hatte Rundar alles verloren. Jedenfalls glaubte er das. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Hjalgord hatte die Schuldscheine aufgekauft, mit denen das zerstörte Schifffahrtskontor finanziert worden war. Jetzt forderte er auf einen Schlag das Geld zurück. So wurde aus dem einst aufstrebenden Kaufmann ein Leibeigener, der an den Kais für einen Hungerlohn schuftete, obwohl er viel zu klein für die Plackerei war. Auch Abrina verdingte sich für die niedersten Dienste, um ein wenig Essen zu beschaffen. Die Armut nahm lebensbedrohliche Ausmaße an. In diesen Tagen lernte Rundar, was Angst ist, und er begriff, was Alpträume aus einem Menschen machen können. Ja, das Leben selbst wurde für ihn zu einem Alptraum, als auch noch sein Weib erkranke. Das Fieber warf sie aufs Bett und es fehlte das Geld, einen Heiler zu bezahlen. Was sollte Rundar tun?
»Múria?«, flüsterte E r gil.
Bombo nickte. »Rundar ist zu ihrem Seeigelhaus hinaufgestiegen. Sie zögerte nicht, begleitete ihn sofort in die Stadt. Aber sie kamen zu spät. Abrina war schon tot, allein in einem Bretterverschlag gestorben.«
Von Mitleid bewegt schüttelte Ergil den Kopf. »Hätte ich Euch nur nicht danach gefragt!«
»Es war meine Entscheidung, Euch davon zu erzählen, weil ich Euch etwas begreiflich machen wollte. Ich war in einer Lage, in der andere Männer sich vermutlich einen Strick genommen hätten, aber Múria machte mir neuen Mut. Sie sagte zu mir: ›Wenn du dir etwas antust, dann hat Hjalgord endgültig gesiegt. Findest du es richtig, wenn seine Niedertracht ungesühnt bleibt?‹«
»Un d dann?«
»Ich habe meine alten Seeleute aufgesucht, denen es nach dem Niedergang meines Geschäfts kaum besser ging als mir. In einer Sternenlosen Nacht haben wir die Meerschaumkönigin im Oberhafen
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