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Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Titel: Mirad 01 - Das gespiegelte Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Múria.
    »Was ich gesagt habe: Sämtliche Gäste des Silbernen
    Karpfen sind Ge rippe.«
    »Kann ich dich für einen Moment allein lassen?«, fragte sie  Twikus sanft.
    »Natürlich«, erwiderte er tonlos. Er hatte zwar schon früher abgenagte Knochen gesehen, an denen zum Teil noch das Fleisch ihrer Besitzer hing, aber dabei handelte es sich s a mt und sonders um Tiere. In der Schenke dagegen lagen mindestens ein Dutzend Menschen – oder vielmehr das, was von ihnen noch übrig war.   
    Múria nahm das grausige Bild erstaunlich gefasst auf. In ihrer langen Laufbahn als Heilerin war ihr schon manch schreckliche Verstümmelung untergekommen. Als sie sich wieder vom Fenster abwandte, glich ihr Gesicht einer grauen Steinmaske.
    »Wer kann das gewesen sein?«, fragte sie laut. Sie hatte niemand Besonderen angesprochen.
    Der Kapitän antwortete: »Ich habe nur einmal e in Skelett erblickt, das so gründlich abgenagt war wie…« Er deutete nur mit dem Daumen in Richtung Haus.
    Permund nickte. »Ich war dabei. Ein Ochse hatte beim Saufen die Zeit vergessen und war zu lange am Flussufer stehen geblieben. Plötzlich schoss ein Schwarm Fiederfische aus dem Wasser, fiel über ihn her und verwandelte ihn stehenden Fußes in ein Skelett.«
    »Du übertreibst. Er ist umgefallen«, brummte Bombo mit glasigen Augen.
    »War nur bildlich gemeint. Wollte eigentlich sagen, wie schnell die Viecher ihn aufgefressen haben.«
    »Fiederfische!«, flüsterte Twikus. Er entsann sich eines Dialogs zwischen Falgon und Dormund, in dem es um die Bedeutung des Wortes »skelettieren« gegangen war.
    Bombo, der davon nichts wissen konnte, musste den leisen Einwurf als Frage aufgefasst haben, denn er sagte: »Das sind Flussbewohner, die aussehen wie ein Katzenwels, ungefähr so groß sind wie ein Straßenköter, Hautflügel haben wie eine Fledermaus und ein Gebiss wie eine Bärenfalle. Was einmal zwischen ihre Kiefer gerät, das lassen sie nicht mehr los – es sei denn, man bringt den Fisch um.«
    Twikus fühlte Übelkeit in sich aufsteigen.
    »Vielleicht war es doch keine so gute Idee, das Tor zur Ödnis aufzusuchen, Kapitän«, sagte der Steuermann, während er seinen Kommandanten dabei beobachtete, wie er sich nach  etwas Glitzerndem bückte, das einem Triangel mit abgerundeten Ecken glich. »Was ist das?«
    Bombo richtete sich wieder auf und hielt seinen Fund in der offenen Handfläche hoch, sodass alle Umstehenden ihn sehen konnten. »Eine Schuppe . «
    »Das ist Beweis genug«, verkündete Permund. »Ich hätte große Lust, so schnell wie möglich wieder zurück nach Bolk z u segeln.«
    »Leider ist das die verkehrte Richtung«, sagte Múria kühl.
    »Wärst du so lieb und bringst die Prinzen aufs Schiff zurück, Steuermann? Ich möchte noch einen Blick in ein paar andere Häuse r werfen.«
    »Wieso kann ich nicht hier bleiben?«, protestierte Twikus lahm.
    »Ja, er soll sich ruhig ansehen, worauf er sich bei diesem Abenteuer einlässt und was von uns allen…« Permund verstummte, weil Múria sich mit verschränkten Armen vor ihm aufgebaut hatte, mit einem Blick, der inzwischen weit unter dem Gefrierpunkt lag. Der Seemann lächelte eher unbeholfen als ermutigend in Richtung der Prinzen. »Vielleicht solltet Ihr Euch das wirklich ersparen, Hoheit. Kommt, ich geleite Euch zur Meerschaumkönigin.«
    Twikus ließ sich widerstandslos abführen. Während er an Permunds Seite den Landungssteg hinablief, stand ihm immer noch das Bild der bleichen Schädel vor Augen. Er sehnte sich nach Ergils nörgelnder Stimme, aber in seinem Innern herrschte Totenstille.
    Ogard war ein Ort der Verwüstung. Anders als in der von den Fiederfischen heimgesuchten Schwesterstadt, die ungefähr zehn Meilen flussabwärts auf der östlichen Flussseite lag, hatte  hier ein Feuersturm gewütet. Leichen waren keine zu sehen, wohl aber einige frisch ausgehobene Gräber.
    Twikus hatte den zweiten Erkundungstrupp nicht begleiten dürfen, weil Múria um sein seelisches Gleichgewicht fürchtete. In der momentanen Phase seiner »Entfaltung« sei dieses wichtiger als der Anblick weiterer Schrecken. Bei der gemeinsamen Beratung am Abend hatte sich die Herrin der Seeigelwarte ihren eigenen Reim auf das Geschehene gemacht. Die Salbacken dürften für den Überfall auf Ogard verantwortlich sein, meinte sie. W eil die Steppenreiter ihre gefallenen Gegner grundsätzlich nicht beisetzten, mussten einige Bewohner des Ortes überlebt haben. Vielleicht waren sie den Angreifern entkommen

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