Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Miramar

Titel: Miramar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagib Machfus
Vom Netzwerk:
widerwilligen
Blicke im Spiegel der Flurgarderobe beobachten. Doch was machte das schon! Ein
Mann wie er konnte auch seine eigenen Phantasievorstellungen fürchten! Ich
schenkte ihm ein, und als er sich bei mir bedankte, fragte ich ihn nach seiner
Meinung über die nun schon historisch gewordenen Ansichten Amir Wagdis.
    Als wolle er sich entschuldigen, gab er
zur Antwort: »Was vergangen ist, wollen wir ruhen lassen! Hören wir doch lieber
Umm Kulthum zu!«
    Ich bewunderte Zuchra, die uns zu
bedienen hatte, die aber nur selten einmal über unsere Spaße lächelte. Sie saß
neben dem Wandschirm, um uns aus der Ferne mit ihren schönen, rätselhaften
Augen beobachten zu können.
    Husni Allam fragte sie, als sie etwas
vor ihn hinstellte: »Und du, Zuchra, liebst du die Revolution?«
    Sie trat scheu hinter den Kreis der
Lärmenden und Streitenden zurück, doch Madame gab an ihrer Statt eine
befriedigende Antwort. Es schien so, als wolle er sie mit seiner Frage aus
ihrer Ruhe reißen und zur Beteiligung an unserem Gespräch auffordern. Doch ich
beobachtete an ihm eine Beklommenheit, die er zu verbergen trachtete. So sagte
ich: »Sie liebt sie doch schon instinktiv!«
    Aber er hörte mich nicht, oder — dieser
gemeine Hund — er wollte mich bewußt ignorieren. Bevor unser Abend zu Ende
ging, verschwand er. Zuchra wußte zu berichten, er habe die Pension verlassen.
Ich bewunderte Amir Wagdi, der immer noch und bis zum Morgengrauen zuhörte und
sich freute. Als wir anderen aufstanden, um uns schlafen zu legen, fragte ich
ihn:
    »Haben Sie zu Ihrer Zeit jemals eine
Stimme wie diese gehört?«
    Lächelnd entgegnete er: »Sie ist
wirklich das einzige, für das die Vergangenheit nichts Ebenbürtiges zu bieten
hat!«
    Ich bat sie, sich zu
setzen, doch sie blieb stehen, lehnte sich an den Kleiderschrank. Mit mir
schaute sie durch das geschlossene Balkonfenster zum wolkenbedeckten Horizont.
Sie wartete darauf, daß ich meinen Tee austrank. Ich bot ihr stets ein
Stückchen Sandkuchen an, von dem ich immer etwas da hatte, und sie nahm es an
als Unterpfand für eine wachsende Freundschaft. Ihr reines Herz spürte meine
Sympathie, meine Verehrung und Bewunderung, und dies machte mich glücklich.
    Draußen fiel Nieselregen. Seine Tropfen
liefen an der Scheibe hinunter, und das Bild der Welt dahinter wurde immer
verschwommener.
    Ich fragte sie nach dem Dorf, in dem
sie gelebt hatte, und sie antwortete mir. Doch sie erzählte mir nicht, warum
sie von zu Hause weggelaufen war.
    »Wenn du zu Hause geblieben wärst,
hättest du längst einen anständigen Bräutigam!« sagte ich.
    Da bekam ich eine schlimme Geschichte
vom Großvater und einem uralten Ehemann zu hören, den er ihr ausgesucht hatte.
»Deswegen bin ich geflohen«, schloß sie.
    Ich war beunruhigt und meinte: »Aber du
bist auch hier nicht sicher vor bösen Zungen!«
    »Das ist immer noch besser als das, wovor
ich geflohen bin!« gab sie geringschätzig zur Antwort.
    Ich bewunderte, ja verehrte sie nun
noch mehr, aber die Tatsache, daß sie so allein dastand, stimmte mich traurig.
Sie jedoch war von einem unerschütterlichen Selbstvertrauen. Der Regen hatte die
Fenster in Undurchsichtigkeit getaucht. Die Welt draußen war verschwunden oder
jedenfalls kaum noch wahrnehmbar.
    Saust da eine Bombe
vorbei, eine Rakete? Eine Horrorvision? Nein, es ist ein Auto! Dieser Idiot!
Verdammt noch mal, es ist Husni Allam! Was in aller Welt veranlaßt ihn zu
fliegen? Das weiß wohl nur er selber! Nein, neben ihm sitzt ein Mädchen, sieht
aus wie Sonja. Ist es vielleicht Sonja? Sonja oder irgendeine andere! Zum
Teufel mit ihm!
    Kaum saß ich in meinem Büro, da kam
mein Kollege zu mir und sagte:
    »Deine Freunde sind gestern
festgenommen worden!«
    Einen Augenblick war mir, als verlöre
ich das Bewußtsein. Ich scheute mich, auch nur ein einziges Wort dazu zu sagen.
    Er fuhr fort: »Der Grund ist, wie man
sagt ...«
    »Das ist doch ganz und gar unwichtig!«
    »Man munkelt auch ...«
    »Ich habe gesagt, daß das unwichtig
ist!«
    Er stützte sich mit beiden
ausgestreckten Armen auf meinen Schreibtisch und meinte: »Dein Bruder war
klug!«
    Stolz bekräftigte ich: »Ja, mein Bruder
ist klug!« Ich sagte mir: Jetzt hat Husni Allam sicher das Ende der
    Welt erreicht, und Sonja zittert vor
Furcht und Wonne.
    »Genug geredet! Ich werde
dich gewaltsam aus diesem Nest reißen!«
    »Aber ich bin kein Kind mehr!«
    »Bist du nicht daran schuld, daß deine
Mutter so früh starb?«
    »Wir waren uns doch

Weitere Kostenlose Bücher