Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
indischen Kultur zu gehören.
„Das ist die Weiße Tara“, erklärte Mira, „eine der 21 Taras, ein weiblicher, friedvoller Bodhisattwa des tibetischen Buddhismus. Sie symbolisiert die transzendentale Wahrnehmung und vollkommene Reinheit, gewährt nach den religiösen Vorstellungen der Tibeter ein langes Leben und schützt vor Krankheiten. Die sieben Augen symbolisieren höchstes Bewusstsein und auch ihre Fähigkeit, jegliches Leid schauen zu können. Sie ist auch die Göttin der Barmherzigkeit. Und sie hilft beim Meditieren. Melissa, achten Sie auf Taras Arme: Der rechte ist im Mudra der Freigebigkeit ausgestreckt. Die linke Hand hält in Herzenshöhe den Stängel einer voll erblühten Lotosblüte. Ist das nicht schön? Sie wird auch „die Retterin“ genannt und gilt als Essenz des Mitgefühls. Tara soll der Legende nach aus einer Träne des Bodhisattva Avalokiteshvara entstanden sein, die er aus Mitgefühl für alle Lesewesen vergoss. Im tantrischen Buddhismus und unter Laien wird sie auch als die „Höchste Mutter“ bezeichnet. „Tara“ bedeutet auch Stern. Ich fühle mich sehr zu ihr hingezogen.“
Ich dachte wessen Träne? und sagte verwundert: „Mira, ich dachte, Sie sind Christin?“
Sie lachte laut. „Ja, das bin ich. Auch. Ohne Zweifel. Sehen Sie nicht die Parallelen zur Muttergottes? Eben die weibliche Seite Gottes? Gott, der große Schöpfer, schickt uns seine Liebe und Weisheit und Barmherzigkeit in vielerlei Gestalt, in jedes Volk. Und ich mag nun mal die Tara, die „Mutter“. Ich denke, das liegt auch daran, dass meine eigene Geistmutter sich Tara Gabriela nennt.“
Langsam fühlte ich mich überfordert. „Ist das ihr Engel, der in Visionen zu Ihnen spricht?“
Mira verneinte leichthin, so als würden wir ein ganz alltägliches Gespräch führen. Für sie mochten diese Gedankengänge vertraut sein, aber doch nicht für mich! Was war denn nun wieder eine Geistmutter? Ich beschloss, die Frage später einmal zu stellen und auch selber herauszufinden, was ein „Avallo-kitesch-dingsbums“ ist. Oder „wer“ das ist – oder war. Meine Bildungslücken in punkto Religion schienen doch weitaus größer zu sein, als ich annahm. Aber alles zu seiner Zeit!
Vor allem auch deswegen, weil mein Auge jetzt zum Tisch in der Ecke abschweifte. Darauf stand eine hohe Figur, die sorgfältig mit einem Musselintuch abgedeckt war.
„Hier ist ja der Engel aus Holz. Ich hatte ihn schon ganz vergessen, Mira. Das ist doch ihre Statue vom Engelfest?“
„Oh ja, das ist er. Er begleitet mich schon mein ganzes Leben.“
„Mira, das Zimmer ist wunderschön, ich fühle mich hier sehr wohl!“
„Es ist mein Kraftort, mein Hort der Stille und der Kontemplation. Dieses Zimmer ist das Herz des Hauses, Melissa. Ach, da ist ja, weswegen ich hier mit Ihnen herkam, die Glocke! Und nehmen Sie bitte eine der Bienenwachskerzen und zwei Spiegel vom Regal mit. Da drüben die, die neben den Kerzen liegen und auf der Rückseite einen Bügel zum Aufstellen haben! Ja, genau. Und die Streichhölzer auch! Und jetzt hören Sie mir bitte zu: Ich gehe jetzt in das Zimmer, um wirklich ihr Zimmer daraus zu machen. Es sollte von meinen Altfrauenschwingungen und der Vergangenheit gereinigt werden. Damit Sie sich dort wohl und heimisch fühlen können! Denn Sie werden ja noch lange hier bleiben, sogar länger als Sie jetzt annehmen. Nein, fragen Sie nicht. Ich weiß es eben. Ihre Aufgabe ist es, nachdem Sie das Zimmer ja schon so schön sauber gemacht haben, diese Kerze in beide Hände zu nehmen und sie mit guten Gedanken und Wünschen für sich selbst anzufüllen. Was soll sich in Ihrem Leben manifestieren? Welche Schwingung soll in Ihrem Zimmer vorherrschend sein? Richten Sie ihre Konzentration auf die Kerze, Melissa. Und zwar so lange, bis ich Sie hier abhole. Okay?“
Ich nickte überrascht und ließ Mira gewähren. Sie nahm die Kristallglocke, eine kleine Karaffe mit einer durchsichtigen Flüssigkeit und einige Rosenquarze mit, nebst einem großen Bergkristall, und ließ mich in diesem herrlichen Zimmer allein. Ich legte die beiden Spiegel auf den dunkelroten Teppich, nahm mir das dicke Sitzkissen, welches unter dem Tisch lag und machte es mir gemütlich. Was das „Kerze-Anreichern“ betraf, war ich mir unsicher. Wie machte man so was? Engel, sag du es mir, dachte ich an die Statue gewandt. Doch er schwieg sich aus, genau wie Tara, die von der Wand auf mich herablächelte. Ich musste es wohl selber herausfinden. Wenn
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