Miss Braitwhistle 03 - Miss Braitwhistle hebt ab
»Unerlaubte Hilfsmittel sind bei der Klassenarbeit verboten.«
»Aber wir dürfen doch Nebenrechnungen machen oder etwa nicht?«, hat Aki gefragt.
»Ja, auf einem Zettel.«
»Ich mach sie eben auf der Tafel.«
»Da ist bestimmt ein Trick dabei, was Elektrisches oder so!«, hat Annalisa gerufen und Pauline musste natürlich auch wieder ihren Senf dazugeben: »Weiß doch jeder, dass Aki schummelt.«
»Zeig mal her«, hat Herr Fischli gesagt und ist zu Akis Platz gekommen. Er hat sich die Schiefertafel von allen Seiten angeschaut. Aber er konnte nichts Verdächtiges entdecken, natürlich nicht.
Aki hat sich über die Augen gewischt und mit ganz schniefiger Stimme gesagt: »Die Tafel ist von meinem Opa, er hat sie mir auf dem Totenbett gegeben und gesagt, dass sie mir Glück bringen wird.«
»Gut, dann darfst du sie ausnahmsweise benutzen.« Herr Fischli sah aus, als würde er auch gleich anfangen zu weinen.
»Wann ist denn dein Opa gestorben?«, hab ich Aki gefragt. Aki hat mit den Schultern gezuckt: »Keine Ahnung, ich hab ihn gar nicht gekannt.«
Kaum hatte man die eine Arbeit hinter sich, war auch schon die nächste dran und ständig kamen die Lehrer mit solchen Sprüchen wie: »Das ist der Endspurt, da müsst ihr euch noch mal richtig am Riemen reißen!«
Und Frau Klawitter tönte vor jeder Stunde: »Wenn ihr glaubt, Musik ist nicht wichtig, dann irrt ihr euch gewaltig. Eine Fünf in Musik kann das Zünglein an der Waage sein!« Und dann stellte sie wieder ihr Hörgerät ab.
Wir haben versucht, uns am Riemen zu reißen, obwohl wir gar nicht wussten, wo der war. Sogar Max hat aufgehört, in der Stunde zu essen, nur noch Bonbons hat er gelutscht, weil er meinte, sein Gehirn braucht Zucker. Henni hatte jetzt ab und zu das richtige Buch dabei, Annalisa hat nur noch dann geheult, wenn sie in einer Arbeit mal keine Eins, sondern nur eine Zwei hatte, und Pauline schaffte es, gleich drei Füllhalter zu zerbeißen, weil sie so heftig nachdenken musste.
Nur Clemens war wie immer, aber er ist ja sowieso der Schlaueste von uns. Nach den Ferien sollte er auf eine besondere Schule gehen, eine, auf der man lauter tote Sprachen lernt. Wir haben uns gefragt, woran die wohl gestorben sind, aber Clemens wusste es auch nicht.
Die Einzigen, die sich nicht am Riemen rissen, waren Molly und Polly, die Puppenzwillinge. Gestritten hatten sie sich ja auch vorher schon, aber so schlimm noch nie.
Wenn Herr Fischli jetzt die Mathearbeiten zurückgegeben hat, hat er jedes Mal gesagt: »Polly und Molly, ihr setzt euch auseinander, sonst bekommt ihr eure Hefte nicht.«
Wenn nämlich Polly einen Punkt mehr hatte als Molly, war die Hölle los.
»Das ist unfair, ich hab viel mehr gewusst als du!«, hat dann Molly geschrien.
Und wenn Molly einen Punkt mehr als Polly hatte, hat Polly geschrien: »Du hast bei mir abgeschrieben, das gildet nicht!«
Und sie haben sich an den Haaren gerissen, sich angespuckt, gekratzt und getreten.
Sogar als sie beide im Musiktest eine Fünf hatten, haben sie sich geprügelt.
»Du hast mich angeschuckelt, deswegen sind meine Noten verwackelt!«, hat Polly gebrüllt.
Und Molly hat zurückgebrüllt: »Deine Noten sind nicht verwackelt, sie sind einfach nur falsch. Und meine sind falsch, weil ich gedacht hab, deine sind richtig, und sie abgeschrieben hab.«
»Du gibst es also zu?«, hat Polly gesagt. »Du gibst also zu, dass du immer bei mir abschreibst?«
Molly hat Polly die Zunge rausgestreckt und gesagt: »Na und, du bist schließlich dreiundzwanzig Minuten älter, da musst du ja schlauer sein.«
Polly wollte dann nicht mehr mit Molly zusammensitzen und Molly hat dumm aus der Wäsche geguckt, denn sie musste zu Henni an den Tisch und von der kann man nicht abschreiben, weil sie sowieso nie weiß, worum es geht.
Nach der letzten Mathearbeit hat Herr Fischli den Kopf geschüttelt und gesagt: »Henni, Henni, du solltest keine Blümchen und Schmetterlinge ins Heft malen, sondern Brüche erweitern. Ich befürchte, du wirst die Klasse wiederholen müssen.«
Henni war aber gar nicht traurig darüber. Ich glaube, sie hat sich gefreut, ein Jahr länger in unsere Schule zu gehen.
Eines Morgens kamen Aki und ich in die Klasse, da lief Polly ganz aufgeregt zwischen den Tischen hin und her und hat bei jedem ins Fach geguckt. »Wo ist meine Puppe?«, hat sie gerufen. »Wer hat sie versteckt?«
Sie hat alles Mögliche gefunden, matschige Apfelbutzen, angebissene und schon angeschimmelte Pausenbrote, Flieger,
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