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Miss Daisy und der Tote auf dem Wasser

Miss Daisy und der Tote auf dem Wasser

Titel: Miss Daisy und der Tote auf dem Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Dunn
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es sich da leichter rudern. An der Spitze der Insel wenden wir dann.«
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    Sie kamen an die Startlinie der Regatta. Die Pontons waren bereits ans Ufer geschoben worden, dem Bootsverkehr aus dem Weg, der bald schon heimwärts fließen würde. So früh war noch niemand unterwegs. Die einzigen Geräusche waren das leise Klatschen des Wassers an der Bootswand, das Knarren der Ruder in den Dollen, das Zwitschern und Tirilieren der Vögel in den Bäumen der Insel.
    Daisy schaute, ob sie einen Blick auf den Tempel erhaschen könnte. Doch ehe er in ihr Blickfeld kam, hörte sie einen Aufschrei. Sekunden später zerriß ein Schuß die Ruhe.
    Einen Augenblick fühlte Daisy sich zum Rennen vom Vortag zurückversetzt, als wäre das ein Startschuß. Doch dann folgte ein weiterer Schuß, gefolgt von einem lauten Platschen.
    »Schaut nur! Da drüben!« rief Daisy aus und zeigte auf ein Objekt, das oben an der Inselspitze von der Strömung in die Mitte des Flusses gerissen wurde. Etwas Weinrotes. War das das Ambrose-Weinrot? »Du meine Güte! Das ist ein Mensch!«
    Cherry hatte sich bereits umgewandt, um nachzuschauen.
    Jetzt holte er die Ruder ins Boot, stand auf und sprang kopf-
    über ins Wasser.
    Das Skiff schwankte gefährlich. Es bewegte sich zwar immer noch weiter, von seinem letzten Schlag getragen, doch jeden Moment würde es mit der Strömung zurückgleiten. Vorsichtig und dennoch zügig kroch Daisy auf allen vieren nach vorn auf die Ruderbank. Im Sitzen wandte sie sich um und sah Alec, der bereits seine Jacke ausgezogen hatte und sich über die Rückseite der Bank im Heck beugte, um das Steuer aus seiner Verankerung zu ziehen.
    »Daisy, schaffst du das?« fragte er. »Cheringham kriegt das alleine nicht hin.«
    »Ich komm schon klar.« Sie holte mit den Rudern aus, froh, daß Cherry sie in den Dollen gelassen hatte.
    Alec ließ sich über den Rand gleiten, wodurch das Boot erneut ins Schwanken geriet. Daisy sah, wie er mit entschlossenen Bewegungen hinter Cherry herschwamm, doch dann erforderte das Rudern ihre gesamte Aufmerksamkeit.
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    Irgendwie schaffte sie es, Luftschläge zu vermeiden, obwohl ihre ersten beiden Züge äußerst ungeschickt ausgefallen waren. Der Rhythmus kehrte schnell zurück – es war wie beim Fahrradfahren: wer es einmal gelernt hatte, verlernte es nie. Das Steuern hingegen war eine ganz andere Sache: Sie schaute in die falsche Richtung. Gervaise war nicht da, um ihr zuzurufen, daß sie mit dem rechten Ruder stärker ziehen sollte, und auch Phillip nicht, um sie vom Ufer abzustoßen, wenn sie zu nah daran geriet.
    Und das war schon sehr dicht. Ihr linkes Ruder strich durch die herabhängenden Zweige einer Trauerweide. Daisy korrigierte rasch ihren Kurs und merkte erleichtert, daß sie in dem relativ stillen Wasser in direkter Nähe der Insel gut wei-terkam, auch wenn es gegen den Strom ging.
    Nur wohin?
    Dann fiel ihr der Landesteg direkt vor dem Tempel ein.
    Wenn sie nur ein bißchen hinter den käme, würde sie die Strö-
    mung wieder hinuntertreiben. Es wäre jedenfalls einfacher, dort ans Ufer zu gelangen, als unter Bäumen und Büschen.
    Nur war das genau der Ort, an dem geschossen worden war.
    Stand jetzt dort jemand mit einer Pistole? Lauschend, war-tend?
    Daisy ruhte sich einen Augenblick aus, die Arme auf die Ruder gestützt. Die Vögel schwiegen nach den Schüssen immer noch. Sie zwang sich, nicht nach Cherry und Alec zu sehen, sondern sich auf das Zuhören zu konzentrieren.
    Von hinter der Spitze der Insel hörte sie das Knarren von Rudern in den Dollen. Das Platschen kündigte von den
    Bemühungen eines wenig geübten Ruderers.
    Er flüchtete! Daisy wandte sich mit doppelter Energie ihrer Aufgabe zu. Langsam, schrecklich langsam zogen die Bäume an ihr vorüber. Sie drehte sich um und erspähte zwischen den Blättern einen Flecken weißer Wand, bevor eine dunkle, im-mergrüne Pflanze ihr wieder die Sicht versperrte. Sie war fast da.
    Als sie auf gleicher Höhe mit dem Tempel war, schaute 197
    sie sich noch einmal um. Ein Mann ruderte ungeschickt vorwärts, den Rücken zu ihr, auf das Buckinghamshire-Ufer zu.
    Ungeschickt oder nicht, er entfernte sich rasch von ihr.
    Daisy schmerzten die Schultern, ihre Arme fühlten sich blei-ern schwer an, und ihre Genickmuskeln waren von dem Versuch, hinter sich zu schauen, ganz verkrampft. Als sie an der Spitze der Insel vorüberkam, wurde sie von der Strömung er-faßt. Sie konnte nichts dagegen tun.
    Wieder ein Blick zurück. Dunkle Haare,

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