Miss Emergency
generös verborgt. Allgemein ist man der Ansicht, ich hätte mit Jenny einen Glücksgriff getan. Ich kann nur bekräftigen, dass ich schon völlig davon überzeugt bin. Dann kommt noch ein Geheimnis heraus: Jenny hat diese PJlerinnen-WG eröffnet, weil sie Hals über Kopf aus der Wohnung ausgezogen ist, die sie mit ihremFreund geteilt hat. Die beiden haben sich erst vor einem Monat getrennt. Jetzt erklären sich mir auch die eigenwilligen Auswahlkriterien in Jennys Mitwohn-Annonce: keine Country- oder Heavy-Metal-Fans, keine Vegetarier, keine Pedanten. Ich erfahre, dass Jenny all das â verkörpert in ihrem Ex-Freund Tom â in den letzten Jahren reichlich hatte und nun satthat.
Die Mädels zeigen mir einen schlaksigen Jungen, der sich im Flur mit Isa unterhält. Das ist er: Tom, Soziologiestudent und angeblich immer noch in Jenny verliebt. Ich finde, dass Tom sehr nett aussieht â und auch Isa scheint sich endlich gut zu unterhalten â, doch die Mädchen sind überzeugt, dass genau das das Problem ist. Zu nett für Jenny. Jetzt genieÃt sie es zwar, dass er ihr noch nachläuft, aber sie ist entschlossen, deutlich zu zeigen, dass sie ihn nicht mehr braucht. Ich beobachte Jenny, die inzwischen mit allen anwesenden Herren getanzt hat und langsam überschwänglich betrunken wirkt. Eine Partykanone und Herzensbrecherin also. Na mir soll es recht sein, genau das hat in meinem Leben bisher gefehlt.
Es geht auf Mitternacht, der erste Nachbar klingelt und fragt, »ob det hier noch lange jeht«. Isa verspricht ihm erschrocken, die Party sofort zu beenden. »Wir wollen es uns doch nicht gleich mit allen verderben!« Doch Jenny zieht den Mann lachend auf die Tanzfläche: »Wie schön, dass wir uns gleich kennenlernen!«
Der Mann ist im Schlafanzug und will nicht tanzen. Aber einen Moment bei uns in der Küche sitzen könnte er schon. Bei dem Lärm kann er sowieso nicht schlafen. Er lässt sich ein Glas Sekt einschenken und Jennys Entschuldigungen gefallen. Zehn Minuten später tanzt er doch. Im Schlafanzug. Also stelle ich die neuen High Heels in die Ecke und tanze mit. Berlin ist verdammt groÃartig!
O h Mann, das Leben ist hart. Ich verzichte auf die Schilderung des nächsten Morgens, an dem unsere Wohnung aussah, als sollten wir am besten gleich wieder ausziehen, und Jenny verschlief, bis wir sie aus dem Bett gezerrt haben. Irgendwie haben wir es noch rechtzeitig zur Bahn geschafft, nur das Frühstück musste ausfallen. Jenny kann sich offenbar in jeder Verfassung schminken, sie trägt in der S-Bahn ein perfektes Make-up auf. (Und keiner guckt! Sehen die Berliner so was täglich oder interessieren die sich einfach morgens nicht so füreinander?) Isa glaubt, dass wir es uns mit allen Nachbarn verscherzt haben, aber Jenny zuckt nur die Schultern. »Die Möbel sind aufgebaut, alle Kartons ausgepackt, jetzt muss man nur noch einmal gründlich putzen und dann kann das Leben losgehen.« Ich stimme zu, glaube aber insgeheim, dass es sicher nicht Jenny sein wird, die dieses »gründlich Putzen« erledigen wird. Egal, unser Einstieg war jedenfalls schon jetzt legendär. Nun gilt es, den Tag zu überstehen.
Die dürre Schwester von gestern schiebt uns, kaum dass wir unsere Kittel übergezogen haben, einen Wagen mit Kanülen vor die FüÃe und hat offenbar einen schlechten Tag. Sie unterstellt gleich mal, dass wir sicher nicht sauber Blut abnehmen können, und fragt mehrfach, ob wir gewaschene Hände haben. Erstens ziehen wir sowieso Handschuhe an und zweitens: Was glaubt sie, mit wem sie es zu tun hat? Schwester Klara lässt keinen Zweifel daran, dass alle Anfänger in ihren Augen Stümper sind, ergänztaber gönnerhaft, dass wir sie ja zu Hilfe rufen können, wenn wir merken, dass wir tatsächlich nichts können. Sie scheint davon auszugehen, dass das unweigerlich passieren wird â und wir sind fest entschlossen, sie keinesfalls um Hilfe zu bitten.
Ich drehe meine Runde bei den Patienten â und gebe zu, dass mir vor der ersten Blutabnahme ein wenig graut. Was, wenn der Junge von gestern recht hatte und meine Punktionen echt an Körperverletzung grenzen? Sehr zaghaft kremple ich der ersten Patientin den Ãrmel hoch. Eigentlich ein ermutigender Anblick: Die Venen sind gut zu sehen. Ich zögere trotzdem. Bis die Frau mich angrinst und sagt, dass sie zum
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