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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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bist.«
    Mir bleibt vor Wut die Luft weg. Geht’s noch? Ich habe Jahre um Jahre studiert, die fiesesten Prüfungen abgelegt und mich durch Biochemie und den Präpkurs gezwungen (Ja, mein Lieber! Präparierkurs heißt Leichen sezieren, das machen wir Medizinstudenten nämlich – nur zu unserem Vergnügen!) – um mir jetzt so was anzuhören? Nein, ich habe noch keinen Doktortitel im goldenen Rahmen zum An-die-Wand-Hängen. Aber dass man bei einer Gehirnerschütterung still liegen muss, weiß jedes Kind! Ich sehe Herrn Ritter direkt in die großen braunen Augen und sage: »Ich kann dich auch fixieren lassen.«
    Verdammt, Lena, nicht schon wieder! Wem hast du vor drei Minuten versprochen, dass du heute nicht drohst und dich nicht provozieren lässt?! Wieso bringt dich dieser respektlose Radfahrer immer wieder dazu, so blöde, unüberlegte Dinge zu sagen?! Ein Blick auf Herrn Ritter genügt, um zu erkennen, dass er mirirgendwie glaubt. Er hofft, dass ich wieder nur gnadenlos übertrieben habe – aber er ist sich keineswegs sicher. Ich muss das klarstellen.
    Â»Nur um dir keine schlaflosen Nächte zu bereiten: Fixierungen sind rechtlich ziemlich kompliziert. In der Regel versucht man es bei zurechnungsfähigen, ansprechbaren Patienten erst mal argumentativ und dann mit Sedativa. Also sei einfach vernünftig, dann kriegen wir das schon hin.«
    Er grinst wieder. »Wer drohen muss, der kann nix. Sagt man doch, oder?«
    Ich mache auf dem Absatz kehrt und gehe. Soll er sich doch in sein Unglück fernsehen. Na ja, die Fernbedienung behalte ich natürlich.
    Â»Vergiss den Idioten!«, rät Jenny beim Mittagessen.
    Aber ich mache mir doch ein wenig Sorgen. Sehr professionell war ich nicht. Und sollte man nicht jedem Patienten selbstlos helfen, auch wenn es noch solche Kotzbrocken sind? Meine Freundinnen muntern mich mit ihren eigenen Reinfällen auf. Isa hat fast eine Patientin fallen lassen – sie hat der Frau aus dem Bett geholfen und ihr Gewicht unterschätzt. Isa muss selbst schmunzeln, als sie erzählt, wie sie unter der dicken Dame fast zusammengebrochen ist. Und Jenny musste den halben Vormittag Bettpfannen ausleeren. Isa und ich sind voller Mitgefühl, von solchen Aufgaben war wirklich nie die Rede! Jenny ist stinksauer auf Schwester Klara, die diese unangenehme Arbeit aus purer Bosheit auf Jenny abgeschoben hat, weil sie sich selbst zu fein dafür ist.
    Erst nach einer Weile finden wir heraus, dass die Geschichte etwas anders verlief: Tatsächlich sollte Jenny nur EINE Bettpfanne ausleeren und hat sich geweigert. Wir entlocken ihr, dass in ihrer Weigerung die Worte ȟberqualifiziert« und »Schwesternaufgaben« gefallen sind und Jenny bei Dr. Ross nachgefragt hat, ob Schwester Klara überhaupt weisungsbefugt ist. (Da ich sie schon drei Tage kenne, kann ich mir lebhaft vorstellen, was für einen Aufstand Jenny gemacht hat.) Leider wollte Dr. Ross wohllieber Jenny opfern, als Streit mit der Stationsschwester zu riskieren – und sprach Schwester Klara das Recht zu, über Jenny zu verfügen. Und daraufhin hat Schwester Klara Jenny ALLE Bettpfannen wechseln lassen.
    Jenny kocht immer noch vor Wut und schwört der Stationsschwester einen Kampf auf Leben und Tod. Wir bemitleiden sie ein bisschen und sie beruhigt sich bald. Nur als Isa sanft zu etwas mehr Zurückhaltung anregen möchte, schnaubt Jenny noch mal los. Ich überlege mir unterdessen, dass ich vergleichsweise gut davongekommen bin, und beschließe, nachher noch einmal bei Manuel Ritter vorbeizuschauen. Ist doch nur natürlich, dass der arme Kerl sich zu Tode langweilt.
    Schwester Klara hat scheinbar ein ähnliches Temperament wie Jenny. Und auch ihr hat wohl niemand Zurückhaltung empfehlen dürfen. Kaum dass Jenny ihr Schnitzel vom Tablett gehoben hat, stürmt die Stationsschwester an unseren Tisch. Jenny soll die Laborergebnisse abholen gehen.
    Jenny protestiert. »Das kostet mich die Mittagspause! Reicht es nicht, dass Sie mir den Vormittag versaut haben?!«
    Isa bleibt ob Jennys Frechheit der Mund offen stehen. Jenny greift zur Gabel. Offensichtlich hat sie nicht vor, zu gehorchen. Schwester Klara sieht sie ruhig an. Und dann wiederholt sie ihre Aufforderung in einer Lautstärke, dass mir die Ohren dröhnen. Stille breitet sich in der Cafeteria aus – alle, wirklich alle, sehen zu unserem Tisch

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