Miss Marples letzte Fälle
Vernünftige wäre es, sein Geld in Goldbarren anzulegen und die Dinger zu vergr a ben.«
»Aha«, sagte Miss Marple. »Mir geht ein Licht auf.«
»Ja. Einige seiner Freunde widersprachen ihm, hielten ihm vor, dass er auf diese Weise keine Zinsen bekommen würde, aber er behauptete, das spielte keine Rolle. Das Gescheiteste wäre es, pflegte er zu sagen, den Großteil seines Geldes in einer Pappschachtel unter dem Bett zu verwahren oder im Garten zu vergraben.«
»Und als er starb«, fuhr Charmian fort, »hinterließ er kaum etwas in Wertpapieren, obwohl er schwerreich war. Deshalb glauben wir, dass er sein Geld tatsächlich ve r graben hat.«
»Wir stellten nämlich fest«, hakte Edward wieder ein, »dass er von Zeit zu Zeit einen Teil seiner Wertpapiere verkauft und hohe Geldsummen abgehoben hatte. Kein Mensch weiß, was er mit dem Geld gemacht hat. Wir halten es deshalb für wahrscheinlich, dass er sich tatsäc h lich an seine Prinzipien gehalten und Goldbarren gekauft hat, die er dann im Garten vergrub.«
»Er hat nicht mit Ihnen gesprochen, bevor er starb? Er hat keine Papiere hinterlassen? Keinen Brief?«
»Das ist ja das, was uns verrückt macht. Nichts. Er war mehrere Tage lang bewusstlos, aber dann erholte er sich noch einmal kurz. Er sah uns beide an und lachte leise – es war ein schwaches, dünnes Lachen. ›Ihr beide seid jetzt gut gestellt, meine hübschen Täubchen‹, sagte er. Dann berührte er seine Augen und machte sie ganz weit auf, so als blickte er in weite Ferne, und zwinkerte uns zu. Kurz danach ist er gestorben.«
»Er berührte seine Augen und machte sie ganz weit auf«, wiederholte Miss Marple nachdenklich.
»Sagt Ihnen das etwas?«, fragte Edward eifrig. »Mir fiel dabei eine Arsène-Lupin-Geschichte ein, wo etwas im Glasauge eines Mannes verborgen war. Aber Onkel Ma t thew hatte kein Glasauge.«
Miss Marple schüttelte den Kopf. »Nein – auf Anhieb fällt mir dabei nichts ein.«
»Jane hat mir erklärt«, bemerkte Charmian enttäuscht, »Sie würden uns augenblicklich sagen, wo wir graben so l len.«
Miss Marple lächelte. »Zaubern kann ich leider nicht. Ich habe Ihren Onkel nicht gekannt, ich weiß nicht, was für ein Mensch er war, und ich kenne weder das Haus noch das umliegende Gelände.«
»Und wenn Sie es kennen lernen würden?«, fragte Charmian.
»Nun, die Sache muss doch eigentlich ganz einfach sein, meinen Sie nicht?«, gab Miss Marple zurück.
»Einfach!«, rief Charmian. »Dann kommen Sie doch mit nach Ansteys. Da werden Sie sehen, wie einfach es ist.«
Möglich, dass ihre Einladung nicht ernst gemeint war, doch Miss Marple sagte sogleich ganz lebhaft: »Das ist aber wirklich nett von Ihnen, mein Kind. Ich habe mir immer schon gewünscht, einmal auf Schatzsuche gehen zu können. Und noch dazu«, fügte sie mit einem stra h lenden Lächeln hinzu, »wenn die Liebe mit im Spiel ist.«
»Da sehen Sie ’ s!« sagte Charmian mit dramatischer Ge s te. Sie hatten soeben einen ausgedehnten Rundgang durch das Gelände von Ansteys beendet. Sie waren durch den Gemüsegarten gewandert, der von tiefen Gräben durchzogen war. Sie waren durch das Wäldchen spaziert, wo um jeden größeren Baum herum die Erde ausgehoben worden war, und hatten traurig den mit Erdhügeln g e sprenkelten Rasen betrachtet, der einst glatt und wohl gepflegt gewesen war. Sie waren oben in der Mansarde gewesen, wo alte Schiffskoffer und Truhen durchwühlt worden waren. Sie waren in den Keller hinuntergestiegen, wo Steinplatten aus dem Boden gerissen worden waren. Sie hatten Wände nachgemessen und abgeklopft, und Miss Marple hatte jedes antike Möbelstück begutachten müssen, von dem zu vermuten war, dass es ein Gehei m fach enthielt.
Auf einem Tisch im Arbeitszimmer lag ein Stapel von Papieren – alle Unterlagen, die der verstorbene Matthew Stroud hinterlassen hatte. Nicht ein Dokument war ve r nichtet worden, und Charmian und Edward zog es immer wieder zu ihnen hin. Ernsthaft hatten sie schon unzählige Male die Rechnungen, Einladungen und Geschäftsbriefe durchgesehen, in der Hoffnung, einen Hinweis zu entd e cken, der ihnen bis dahin entgangen war.
»Fällt Ihnen ein Ort ein, wo wir noch nicht gesucht h a ben?«, fragte Charmian hoffnungsvoll.
Miss Marple schüttelte den Kopf.
»Ich habe den Eindruck, dass Sie beide sehr gründlich zu Werke gegangen sind, mein Kind. Vielleicht, wenn ich das einmal sagen darf, allzu gründlich. Meiner Meinung nach sollte man immer einen Plan haben. Mir
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