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Miss Pettigrews grosser Tag

Titel: Miss Pettigrews grosser Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Winifred Watson
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nicht zu ändern. Zum Glück ist ihr Haar nicht fettig. Nur ein paar lockere Wellen. Für eine kunstvolle Frisur haben wir keine Zeit.«
    Ihre geschickten Finger flogen nur so. Miss Pettigrew verging fast vor Aufregung. Noch nie in ihrem Leben hatte sie den schlichten Gaben der Natur nachgeholfen. »Warum versuchen, Gottes Werk zu verbessern?«, fragte ihre Mutter. »Wird ihn das erfreuen? Nein. Er hat dir dieses Gesicht und dieses Haar gegeben. Er hat sie so für dich bestimmt.« Miss Pettigrew kostete die himmlisch abenteuerliche Empfindung, auf Abwege zu geraten, in vollen Zügen
aus: Sie fühlte sich frivol, auf der Höhe der Zeit, wider Willen berauscht. Sie genoss es. Sie genoss es ganz außerordentlich.
    »Fertig«, sagte Miss Dubarry. »Ein Seitenscheitel. Ein paar leichte, lockere Wellen von der Stirn weg – das wirkt ganz natürlich und so, als wäre man bloß ein bisschen leger frisiert. Ein eleganter Dutt im Nacken – der verleiht ihr dazu noch etwas Mondänes.«
    »Bitte sehr.« Sie trat von ihrem Werk zurück.
    »Heiliger Strohsack!«, hauchte Miss LaFosse. »Ist es zu fassen, was eine Frisur aus einem Menschen machen kann?«
    »Bin ich fertig?«, fragte Miss Pettigrew mit bebender Stimme.
    »Fertig«, sagte Miss Dubarry.
    »Und wie!«, rief Miss LaFosse aus.
    »Das sollte genügen«, stimmte Miss Dubarry bescheiden zu.
    »Ich traue noch immer meinen Augen nicht«, schwärmte Miss LaFosse.
    »Sie eignet sich gut«, sagte Miss Dubarry. Ihre Bescheidenheit löste sich in Wohlgefallen auf. »Man soll sich ja nicht selbst loben, aber ich muss sagen, ich bin stolz auf mein Werk.«
    »Darf ich schauen?«, fragte Miss Pettigrew.
    »Der Spiegel wartet«, sagte Miss Dubarry.
    Miss Pettigrew stand auf, drehte sich um und sah in den Spiegel.
    »Nein«, flüsterte sie.
    »Ja«, jubilierten die Damen Dubarry und LaFosse im Duett.
    »Das bin nicht ich«, japste Miss Pettigrew.
    »O doch, in Fleisch und Blut«, sagte Miss Dubarry.

    »Gepriesen seien des Menschen Werke«, setzte Miss LaFosse nach.
    Dann schwiegen beide. Es war ein heiliger Augenblick. Miss Pettigrews Augenblick. Sie ehrten ihn in stiller Bewunderung.
    Miss Pettigrew starrte ihr Spiegelbild an und griff Halt suchend nach einer Stuhllehne. Ihr war flau. Dort stand eine fremde Frau. Eine Frau von heute: souverän, kultiviert, formvollendet und unendlich elegant. Eine alterslose Frau. Nicht jung, nicht alt. Wer gab schon etwas auf Alter? Niemand. Nicht bei einer Frau von solch berückendem Äußeren. Der reiche schwarze Samt verlieh dem Kleid einen schimmernden Glanz wie von Farbe. Es war das Werk eines Künstlers, so vortrefflich geschnitten, dass seine Trägerin darin zugleich züchtig und verwegen erschien und dem Betrachter die Qual der Wahl blieb, wofür er sich entschied. Die strengen Konturen ließen sie größer erscheinen, und die Ohrringe – nun ja – ein wenig weltgewandter. Das war das richtige Wort. Die Kette verlieh ihr Eleganz. Eleganz, ihr, Miss Pettigrew.
    Diese zarte Röte! War sie echt? Wer wollte das sagen? Dies weich gelockte Haar! Keine schlaffen Spitzen, keine Strähnen, nichts hing lasch herunter. War es wirklich ihres? Sie erkannte es nicht wieder. Diese Augen, so viel blauer als in ihrer Erinnerung! Diese kunstreich schattierten Brauen und Wimpern! Dieser Mund mit seinem leicht herausfordernden Rot! War er geschminkt? Nur ein Kuss würde einem Mann eine befriedigende Antwort darauf liefern.
    Sie lächelte. Die Frau lächelte zurück, selbstsicher, in sich ruhend. Wo war die unterwürfige Haltung, das betretene Lächeln, die elende Schüchternheit, die reizlose Figur, das scheußliche Haar, der käsige Teint? Fort. Fort
dank der Zauberkraft von »Du Barry’s« kundiger Besitzerin und Betreiberin.
    Hingerissen, überwältigt, zutiefst aufgewühlt betrachtete Miss Pettigrew das Traumbild ihrer selbst. In ihrer Kehle bildete sich ein Kloß. Tränen stiegen ihr in die Augen.
    »Guinevere!«, kreischte Miss Dubarry. »Um Himmels willen, reißen Sie sich zusammen.«
    »Guinevere«, ächzte Miss LaFosse, »bitte, ich flehe Sie an. Ihr Make-up. Denken Sie daran, was Sie Ihrem Make-up schuldig sind.«
    Miss Pettigrew gab sich große Mühe.
    »Aber gewiss doch!«, sagte sie würdevoll. »›England erwartet, dass jedermann seine Pflicht tut!‹ Mir ist wohl bewusst, wie wichtig es ist, dafür Sorge zu tragen.«
    »Schuhe«, sagte Miss Dubarry.
    Miss Pettigrew probierte ein Paar.
    »Sieh an!«, sagte sie. »Sie sind eine Spur zu

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