Missbraucht
ein wenig, das musste sie sich eingestehen, während sie im Außenspiegel den Sitz ihrer Frisur überprüfte. Es war kurz vor halb elf und die Sonne hatte sich schon mächtig ins Zeug gelegt. Es war davon auszugehen, dass, wie in den Nachrichten angekündigt, ein weiterer hoch sommerlicher Tag zu erwarten war. Bis jetzt hält der Sommer wirklich, was man sich von ihm erwartet, dachte Sandra und fuhr sich mit einem Erfrischungstuch über die Stirn. Sie musste in den Schatten, bevor sich ihr dezentes Make-up auflöste. Sandra drehte die beiden Seitenscheiben ihres Wagens bis auf Fingerbreite wieder hoch, schloss die Tür ab und ging hinüber zum Jugendheim. Auf Höhe des Blumenbeetes hielt sie an und bewunderte die gärtnerische Arbeit von Uwe Stromberg. Die Hingabe, mit der er das Beet pflegte und die Blumen arrangierte, machte ihn ihr richtig sympathisch. Na ja, war auch sonst keiner, den man unbedingt von der Bettkante stoßen musste, dachte sie sich, lächelte und ging die breite Treppe zur Eingangstür hoch. Der Empfang war sonderbarerweise wieder nicht besetzt. Sandra überlegte, ob sie zu Dr. Heb ins Büro gehen sollte oder vielleicht zu Frau Stromberg in die Küche. Beide Überlegungen verwarf sie. Der jungen Polizistin fehlte einfach der richtige Gedankenblitz, wie sie die Sache beginnen sollte. Das Gebäude kam ihr vor wie ausgestorben, es war niemand da, der von ihr Notiz nehmen konnte. Sie ging den langen, verglasten Gang hinunter um sich einfach etwas im Heim umzusehen. Irgendwie hatte sie tief im Hinterkopf die Vermutung, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Fall Baumel, den Kinderpornos und dem Jugendheim geben konnte. Es würde ja auch wunderbar zusammenpassen.
Die Sonne entwickelte hinter den großen Glasscheiben ordentlich Hitze und ließ Sandra unweigerlich wieder an ihr Make-up denken. Sie nahm auf einem der Stühle Platz, die in der Halle standen. Es war immer noch niemand zu sehen, geschweige denn etwas zu hören. Es war eine seltsame Atmosphäre, die Sandra verspürte. Die ihr gespenstisch vorkommende Ruhe in dem überdimensionierten Foyer, gab der Situation fast etwas Geheimnisvolles, dachte sie sich. Nach einer Weile hörte sie immer lauter werdende Schritte. Sie sah sich um und entdeckte ein kleines Mädchen in dem langen Gang, das ebenfalls auf dem Weg in die Halle war. Je näher das kleine Persönchen kam, um so bekannter wurde es Sandra. Das Mädchen hielt diese auffällige Puppe im Arm, die der Polizeibeamtin schon bei der ersten Begegnung ins Auge gefallen war.
Sandra sprach das kleine Mädchen in der Art an, wie es nur Frauen vermögen und wie es selbst den einfühlsamsten Männern nicht in den Sinn käme.
"Na du, bist du mit deiner Freundin unterwegs?"
Das Mädchen blieb stehen und schaute Sandra mit einer Mischung aus übertriebenem Respekt , Angst und kindlicher Unbekümmertheit an. Sandra lächelte und bemerkte, wie sich kaum merklich der Mund des Mädchens, ebenfalls zu einem angedeuteten Lachen formte.
"Ja, wir dürfen schon auf unser Zimmer gehen, weil ich so gut gemalt habe."
Sandra fiel gleich der Dialekt des Mädchens auf.
"Toll junge Dame, würdest du mir deinen Namen verraten?"
"Ich heiße Nadia", sagte die Kleine mit leiser Stimme.
"Aha, ein wirklich schöner Name, viel schöner als meiner", Sandra schmeichelte dem Mädchen. Das kam sichtlich gut an, denn das vorher sich nur leicht abzeichnende Lächeln, war zu einem herrlich anzusehenden Strahlen auf dem Gesicht des Kindes geworden.
"Meinst du wirklich?", versuchte Nadia weiteres Lob einzuheimsen.
"Ja, natürlich. Ich heiße Sandra, aber Nadia ist doch viel schöner."
Die Kleine strahlte noch mehr.
"Wo kommst du her?", fragte Sandra sich zwanglos und wie eine Freundin anhörend.
"Wir sind aus Rumänien."
"Oh!", Sandra tat, als sei es etwas ganz was Besonderes. "Aber wer ist wir, du und deine Freundin?", Sandra deutete auf die Puppe. Das Mädchen lächelte wieder ein bisschen mehr.
"Nein, ich und Mathae."
"Und wer ist Mathae?"
"Mathae ist mein Bruder", sagte Nadia und man konnte den Stolz deutlich in ihrer Stimme hören.
"Oh, du magst deinen Bruder wohl sehr, nicht wahr?"
"Ja!", überzeugender hätte Nadia es nicht sagen können.
"Das ist schön und wo hast du diese tolle Puppe her?", jetzt erst fiel Sandra auf, welch herrlichen Kontrast das strohblonde Haar der Puppe zu Nadias pechschwarzen Haaren bildete.
"Mathae hat sie mir geschenkt, damit ich nicht so alleine bin, wenn er nicht da ist."
"Hat
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