Missbraucht
Richard, dessen Intuition ihm im selben Moment sagte: Das ist er! Er hielt wie bettelnd dem Kollegen die Hand entgegen und konnte es nicht abwarten, das Bild zu sehen. Heyne registrierte es gar nicht, zu selbst verliebt und zu siegessicher war er in diesem Augenblick des Triumphs.
Er hatte das Bild selbst erst gestern, kurz vor Feierabend bekommen und sofort den Staatsanwalt über die extra von ihm eingerichtete "Hotline “ informiert. Das Lob, das ihm zuteilgeworden war, hatte ihn bis in die Fußspitzen motiviert. Seine Frau konnte heute Morgen ein Lied davon singen , bei dem Gedanken verirrte sich ein süffisantes Lächeln auf seinem Gesicht.
"Er hat mindestens dreißig Liter Sprit getankt, das ist selbst für einen Aufsitzmäher bisschen heftig", sagte Heyne und lachte jetzt lauter. Richard hatte fast den Eindruck, dass Heyne das Bild nicht aus den Händen geben wollte. Das ärgerte den Kommissar maßlos. Jetzt gib endlich das Bild her du Idiot und hör auf so dämlich zu lachen, dachte Richard ungeduldig und machte gute Miene zum "bösen" Spiel.
Mit einer theatralisch übertriebenen Geste händigte der Oberkommissar Richard das Bild aus.
Richards Mund blieb offen stehen, er atmete nicht und stierte aus weit aufgerissenen Augen ungläubig auf das Foto. Damit konnte niemand rechnen.
Uwe Stromberg! Ganz eindeutig. Er musste nicht zweimal hinsehen, um ihn zu identifizieren. Blitzschnell fing es in Richards Kopf an, zu arbeiten. Schalter wurden angeknipst und Hebel umgelegt, seine Kommandozentrale im Kopf fing sofort an auf Hochtouren zu laufen.
Baumel-Kinderpornos-Nicu-Achern-Stromberg? Aber wie gehörte das alles zusammen? Richard hatte nicht den geringsten Hinweis darauf, wo er anfangen sollte, das Puzzle zusammenzusetzen.
"Sie kennen ihn?", Heyne fiel sofort auf, dass sein Kollege aus Koblenz den Mann auf dem Foto erkannte.
"Ja, Uwe Stromberg! Er stammt aus Montabaur, dem Wohnort von Baumel. Das ist ja ein Ding", antwortete Richard beiläufig, während er verzweifelt, versuchte die Zusammenhänge zu rekonstruieren.
"Na, das ging ja schneller als gedacht", Heyne war ungläubig überrascht und dennoch hochzufrieden. "Ein Kerl aus der Stadt des Toten, der ein paar Hundert Kilometer weiter an jeder Tankstelle Kanister betankt und ein paar Stunden später brennt es lichterloh am Fundort der Leiche. Das ist ja wohl eindeutig."
"Sehe ich auch so ...", musste Richard zugeben, "... aber ich weiß weder ein Motiv, noch versteh ich, warum das alles gerade in Achern, in einer Ausflugskneipe passiert ist. Das passt irgendwie nicht zusammen, das ergibt doch keinen Sinn."
"Es ist weniger eine Ausflugskneipe, es ist mehr ein Ausflugslokal", berichtigte Heyne.
"Wir haben übrigens herausgefunden, dass der Mann an einer der Tankstellen mit einem Tausend Mark Schein bezahlt hat. Ist schon sehr selten, da die Tankstellen eigentlich solch große Scheine nicht annehmen."
"Das stimmt. Warum hat Stromberg soviel Geld in der Tasche? Das passt gar nicht zu ihm." Richard fiel die erwähnte Barabhebung Baumels ein, ein weiteres Indiz, das ins Puzzle passte.
Darauf konnte Heyne seinem Kollegen keine Antwort geben und deshalb sagte er:
"Am besten Sie fragen ihn selbst."
"Das werde ich, und zwar heute noch. Darf ich mal telefonieren?"
Natürlich durfte er. Während Richard mit dem weißen Telefon Polizeidirektor Mertes anrief, informierte Oberkommissar Heyne über die von ihm installierte "Hotline" den Staatsanwalt über die neusten Erkenntnisse. Beiden Polizeibeamten wurde jeweils ein großes Füllhorn Lob vonseiten ihres Vorgesetzten zuteil. Außerdem wurde Heynes "Gefechtsstand" endlich ihrem Zweck gerecht.
*
29.06.1994
Dass sie für die Fahrt nach Montabaur ihren Privatwagen in Anspruch nehmen musste, passte Sandra Götze gar nicht. Aber Richard hatte schon recht, immerhin musste er an diesem Tag mehrere Hundert Kilometer nach Achern und zurückfahren, während sie, Hin- und Rückfahrt zusammengerechnet, vielleicht achtzig, allenfalls hundert Kilometer zurück zu legen hatte. Schließlich war es auch eine finanzielle Angelegenheit, denn erst einmal hieß es, in Vorlage zu treten.
Sandra parkte den Wagen auf dem ihr inzwischen bekannten Stellplatz und beobachtete angelehnt an ihren Golf, das Jugendheim. So recht wusste die Polizeimeisterin nicht, was sie eigentlich heute in Montabaur sollte und sie hatte sich noch keinen Plan zurechtgelegt, wie sie ihre Ermittlungsarbeit hier weiter angehen sollte. Richard fehlte ihr
Weitere Kostenlose Bücher