Mission Arktis
schüttelte nachdenklich den Kopf. Ihrem Vater würde sie nicht verraten, dass sie sich diese Chance hatte entgehen lassen, ein Wiesel- und ein Vielfraßfell einzuheimsen. Natürlich wäre er nicht erfreut darüber. Andererseits war sie Sheriff und kein Trapper. Er konnte froh sein, dass sie eine Woche ihres zweiwöchigen Urlaubs darauf verwendete, ihm mit seinen verdammten Fallen zu helfen.
Auf ihren SherpaSchneeschuhen machte sie sich auf den Rückweg zu ihrem Schlitten. Der Ausflug zum Kontrollieren der Fallen war nicht nur eine lästige Pflicht. In den letzten drei Tagen hatte ein Sturm den Nationalpark mit einer über einen halben Meter dicken Schneeschicht bedeckt, was perfekt war, um ihr Schlittenhundegespann noch ein letztes Mal vor der Frühlingsschmelze laufen zu lassen. Es war noch zu früh für Touristen, Wanderer oder Camper und so hatte sie diesen Teil des Nationalparks für sich allein. Ihre Familienhütte lag am Rand des Parklands in einem der tiefer gelegenen Täler. Ihr Vater, ein Inuk, besaß aufgrund des Alaska National Interrest Lands Conservation Act von 1980 noch immer die ausdrückliche Erlaubnis, für seinen Lebensunterhalt in bestimmten Gegenden des Parks zu jagen und Fallen aufzustellen. Daher ihr kleiner Ausflug mit den Hunden.
Bei ihrer Rückkehr wurde sie von dem üblichen Bellen und Jaulen empfangen. Rasch löste sie die Bindung der Schneeschuhe, kickte sie von den Füßen und befestigte sie oben auf dem Schlitten. Darunter befanden sich ihr Schlafsack, trockene Kleidung zum Wechseln, eine kleine Axt, eine Laterne, diverse Mittel gegen Moskitos, ein Plastikbehälter mit Trockenfutter für die Hunde, ein durchweichter Karton mit Energieriegeln, eine angebrochene und sorgfältig zugedrehte Tüte Doritos und ein kleiner Kühlbehälter mit TabCola. Sie löste ihr Schulterhalfter, hängte den Dienstrevolver über einen Schlittengriff und befestigte das Halfter neben der Axt in ihrer Lederscheide.
Anschließend streifte sie die dicken Wollüberziehhandschuhe ab. Darunter trug sie dünnere GoreTexHandschuhe, die etwas mehr Bewegungsfreiheit gewährten. »Okay, Jungs und Mädels, los geht’s!«
Auf ihr Kommando standen die Hunde, die noch im Schnee lagerten, schwanzwedelnd auf. Das Gespann war noch an der Teamleine angeschirrt, sie brauchte also nur die Zugriemen festzuziehen. Dabei tätschelte sie die Hunde alle nacheinander: Mutley und Jeff, George und Gracie, Holmes und Watson, Cagney und Lacey. Sie waren allesamt Streuner oder Rettungshunde, ein bunter Haufen von Labradormischlingen, Malamutes und Schäferhundmischlingen. Zu Hause hatte sie noch mehr, sodass sie ein volles Sechzehnergespann zusammenstellen konnte. Damit war sie letztes Jahr auch das große IditarodRennen von Anchorage nach Nome gefahren. Zwar hatte sie sich nicht einmal in der ersten Hälfte platzieren können, aber die Herausforderung und die Zeit, die sie mit ihrer Crew verbracht hatte, waren mehr als genug für sie.
Als alle bereit waren, ergriff sie die Führungsleine und schüttelte sie kurz. »Mush!«
Mit lautem Gebell setzten die Hunde sich in Bewegung, zunächst ganz gemütlich. Jenny ging hinter ihnen her und steuerte. Die von dem Vielfraß ausgeraubte Falle war die letzte gewesen, sie hatte die ganze Route hinter sich gebracht. Von hier waren es lockere drei Meilen zu der Hütte. Hoffentlich hatte ihr Vater daran gedacht, ihr eine Kanne Kaffee auf den Ofen zu stellen.
Sie führte die Hunde über eine Reihe von Serpentinen einen spärlich bewaldeten Abhang hinauf. Oben hielt sie an. Vor ihnen öffnete sich die Welt: Hügelzug um Hügelzug erstreckte sich bis zum Horizont. Schneebedeckte Fichten schimmerten smaragdgrün in der Sonne, während die Laubbäume – Erlen und Pappeln – die Landschaft mit subtileren Grün- und Gelbschattierungen schmückten. In der Ferne ergoss sich glitzernd ein silberner Fluss über mehrere Wasserfälle.
Jenny sog die zedernduftende Luft tief ein. Die Gegend besaß eine kalte, karge Schönheit. Für manche Menschen war das zu viel, für andere nicht genug. Die Sonne, die sich in den letzten Tagen rar gemacht hatte, schien ihr hell und warm ins Gesicht. Unter den Wolken segelte ein einsamer Falke am Himmel. Einen Moment folgte sie ihm mit den Augen.
Das war das Land ihres Volkes, aber ganz gleich, wie viel Zeit sie hier verbrachte, sie kam mit der Vergangenheit nicht in Berührung … nicht mehr. Es war, als hätte sie ein Gespür verloren, von dem sie nie etwas gewusst hatte. Aber
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