Mission Arktis
Winter.
»Vielleicht sollten wir das drinnen besprechen«, sagte er. »Im Wald liegen nämlich noch zwei weitere Leichen.«
Jennys Miene verfinsterte sich, aber sie nickte.
Der Ausdruck ihres Vaters wurde nicht freundlicher. »Ich kümmere mich um das Pferd und die Hunde«, brummte John Aratuk und nahm Matt Mariahs Zügel aus der Hand. Immerhin hatte er sich so weit beruhigt, dass er mit der Hand die Nase der Stute rieb; allerdings weigerte er sich noch immer, Blickkontakt mit Matt aufzunehmen. Als Craig an ihm vorbeiging, nickte er flüchtig. Allem Anschein nach hatte er nichts gegen den Fremden, sondern nur etwas gegen die Gesellschaft, in der er sich befand.
Jenny öffnete die Tür der Hütte und stellte die Winchester von innen an den Türrahmen. »Kommt rein.«
Matt ließ Craig den Vortritt, und dieser trat rasch ein, während Matt einen Moment auf der Schwelle innehielt. Seit drei Jahren war ich nicht mehr hier. Er nahm sich zusammen, fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und ging hinein. Ein Teil in ihm erwartete immer noch, Tylers winzigen Körper ausgestreckt auf dem Kiefernholztisch zu sehen, die knochigen Arme über der Brust gekreuzt. Damals war Matt in die Hütte gestolpert, die Gliedmaßen bleiern vor Schmerz, halb erfroren, das Herz ein eiskalter Stein in seiner Brust.
Aber jetzt war die Hütte nicht kalt, sondern gemütlich warm, und die Luft war erfüllt vom Duft nach altem Rauch und Holz. Auf der anderen Seite des Raums beugte sich Jenny über den gusseisernen Ofen und stocherte mit einem Schürhaken in der Glut. Auf einem Gitter stand eine Kaffeekanne und dampfte leise.
»Im Schrank stehen Becher«, sagte Jenny. »Du weißt ja, wo.«
Matt ging zum Sideboard und holte drei Keramiktassen heraus. Dann richtete er sich auf und sah sich in dem großen Raum mit den hohen Deckenbalken um. Hier hatte sich nicht viel verändert. Der Hauptraum der Hütte wurde von drei traditionellen qullip -Öllampen erhellt, Halbmonde aus hohlem Speckstein. Zwar verfügte die Hütte über Elektrizität, aber dafür musste man den Generator laufen lassen. In einer Ecke war ein gemauerter Kamin. Sessel und Sofa waren von einem eingeborenen Künstler aus Karibuleder und feuergealterter Fichte hergestellt worden. An der Wand hingen Fotos, die Jenny gemacht hatte. Sie war eine hervorragende Fotografin. Überall im Raum verteilte InuitKunstwerke und Artefakte vervollständigten die Dekoration: kleine Totems, eine geschnitzte Figur von Sedna, dem Meeresgott der Inuit, und eine bemalte Schamanenmaske, die bei Heilzeremonien benutzt wurde.
Jeder Gegenstand hatte seine Geschichte. Es war hart für Matt, hier zu stehen. Aus irgendeinem Grund schien er vom Pech verfolgt zu werden. In seinem ersten Studienjahr an der University of Tennessee waren seine Eltern von Einbrechern getötet worden, die ihr Haus überfallen hatten. Da er völlig mittellos war, musste er zum Militär. Dort hatte er seine Wut und seinen Schmerz in seine Karriere kanalisiert, sich schließlich einer Spezialeinheit angeschlossen und war zu den Green Berets gegangen. Aber nach den Erfahrungen in Somalia konnte er das Blutvergießen und den Tod nicht mehr ertragen. Er verließ das Militär und kehrte an die Universität zurück, wo er seinen Abschluss in Umweltwissenschaften machte. Danach war er nach Alaska gekommen, wegen der Weite des Landes und der riesigen Nationalparks.
Er war hierher gekommen, um allein zu sein.
Aber das hatte sich geändert, als er Jenny begegnet war …
Die Becher in der Hand, stand Matt reglos da, gefangen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Vom Hauptraum gingen zwei Schlafzimmer ab. Doch für diese intimeren Erinnerungen war er noch nicht bereit und er wandte sich rasch ab. Trotzdem tauchten ein paar davon auf.
In einem der beiden Zimmer … las er Tyler bei Lampenlicht Winnie-thePooh vor, die ganze Familie in dicke wollene Pyjamas eingemummelt …
Im anderen … unter den schweren Gänsedaunendecken mit Jenny zusammengekuschelt, ihr nackter Körper warm an seiner Haut …
»Der Kaffee ist fertig«, sagte Jenny und holte ihn in die Gegenwart zurück. Mit einem verschlissenen Topflappen hob sie den heißen Kessel hoch und winkte die beiden Männer zum Sofa.
Matt stellte die Becher auf den groben Kieferntisch. Sie füllte die Tassen. »Dann erzählt mir mal, was passiert ist.« Ihre Stimme klang sachlich, professionell, eine SheriffStimme.
Craig begann mit seiner Seite der Geschichte. Er berichtete alles, was geschehen war,
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