Mission Arktis
der Körper zu einer engen Spirale gebogen, ähnlich wie bei einem schlafenden Hund.
»Und das ist noch nicht alles«, verkündete Henry und erhob sich.
Bevor Amanda eine Frage stellen konnte, ging er hinüber zu einer breiten Spalte in der Felswand. Amanda folgte ihm und dem Lichtschein, während sie erfolglos versuchte, das Bild des aufgerissenen, hungrigen Monstermauls aus ihrem Kopf zu verbannen.
Der Spalt schnitt ein paar Meter tief in die Felswand und endete in einer Höhle von der Größe einer Doppelgarage.
Amanda richtete sich auf. An der hinteren Wand standen sechs riesige Eisblöcke, und in jedem davon war ein eingefrorenes Exemplar der Monsterkreaturen zu sehen, alle in fötaler Haltung zusammengerollt. Aber es war etwas anderes, was Amanda zum Eingang der Höhle zurücktaumeln ließ.
In der Mitte der Kammer lag, wie ein Frosch im Biologielabor, eine der Kreaturen auf dem Eis ausgestreckt, die Beine auseinander gespreizt. Sein Rumpf war vom Hals bis zum Becken aufgeschlitzt, die Haut abgezogen und aufs Eis genagelt. Daran, dass das Präparat gefroren war, konnte man erkennen, dass die Sezierung vor längerer Zeit vorgenommen worden war. Aber schon nach einem flüchtigen Blick auf Knochen und Organe musste Amanda sich abwenden.
So rasch sie konnte, eilte sie hinaus auf den gefrorenen See. Dr. Ogden folgte ihr, schien ihren Schock jedoch gar nicht wahrzunehmen. Stattdessen berührte er sie am Arm, um ihr etwas zu sagen.
»Eine Entdeckung dieser Größenordnung wird das Gesicht der gesamten Biologie verändern«, schwärmte er und beugte sich in seinem Enthusiasmus dicht über Amanda. »Jetzt verstehen Sie sicher, weshalb ich verhindern musste, dass die Geologen dieses konservierte Ökosystem zerstören. Ein Fund wie dieser … so perfekt erhalten …«
Mit brüchiger Stimme unterbrach ihn Amanda: »Was sind das für Kreaturen?«
Henry zwinkerte ihr zu und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Oh, natürlich! Sie sind ja Ingenieurin.«
Obwohl sie taub war, konnte sie seine Herablassung hören. Sie ärgerte sich, hielt aber den Mund.
Er winkte sie zurück zu der Felsspalte und sprach langsamer. »Ich habe das Exemplar dort hinten den ganzen Tag studiert. Zum Glück habe ich mich mit Paläobiologie beschäftigt. Fossilierte Überreste solcher Spezies sind in Pakistan und China entdeckt worden, aber noch nie so gut erhalten.«
»Überreste wovon denn, Henry?« Sie starrte den Biologen durchdringend an.
»Von Ambulocetus nutans. Was man allgemein als ›Laufwal‹ bezeichnet. Er ist das evolutionäre Glied zwischen den an Land wohnenden Säugetieren und dem modernen Wal.«
Sie konnte ihn nur sprachlos angaffen, während er weiterredete.
»Man schätzt, dass er vor ungefähr neunundvierzig Millionen Jahren gelebt hat und vor sechsunddreißig Millionen Jahren ausgestorben ist. Aber die nach außen gebogenen Beine, das mit dem Rückgrat verschmolzene Becken, die Entwicklung der Nase – all das kennzeichnet das Tier zweifelsfrei als Ambulocetus. «
Amanda schüttelte den Kopf. »Sie können doch nicht ernsthaft behaupten, dass diese Exemplare so alt sind! Vierzig Millionen Jahre?«
»Nein.« Die Augen des Biologen wurden groß. »Das ist es ja gerade! MacFerran sagt, das Eis auf dieser Ebene ist höchstens fünfzigtausend Jahre alt, aus der letzten Eiszeit. Und diese Exemplare haben einige einzigartige Merkmale. Meine momentane Annahme lautet, dass eine Herde von Ambulocetus in die arktischen Regionen gewandert ist, wie die modernen Wale das heutzutage auch machen. Als sie hier waren, haben sie sich dann an die Bedingungen angepasst. Die weiße Haut, der Riesenwuchs, die dicke Fettschicht. Ähnlich wie bei Eisbären und Belugawalen.«
Amanda dachte daran, dass sie das Monster vorhin selbst an einen Beluga erinnert hatte. »Und diese Kreaturen haben hier bis zur letzten Eiszeit überlebt? Ohne dass jemals irgendein Hinweis darauf entdeckt wurde?«
»Ist das wirklich so überraschend? Alles, was auf der polaren Eiskappe gelebt hat und gestorben ist, wäre einfach auf den Boden der arktischen See gesunken, eine Region, auf die man kaum je einen Blick warf. Und an Land macht es der Permafrost jenseits des Polarkreises fast unmöglich, Grabungen durchzuführen. Daher ist es gar nicht so verwunderlich, wenn ein Wesen Jahrtausende hier gelebt hat und dann spurlos verschwunden ist. Sogar heute noch haben wir kaum paläologische Daten aus dieser Region.«
Amanda schüttelte den Kopf. Sie konnte das, was sie gesehen hatte,
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