Mission Arktis
zurückführten, wo sie gestartet war.
Lacy sauste um die erste Biegung, an der gewölbten Eiswand emporschwingend, so schnell, dass der Wind ihr um die Ohren pfiff. Geduckt ging sie in die Kurve, und nun lag eine Reihe von Serpentinen vor ihr, ein S- förmiges Stück Tunnel. Ihr Lieblingsabschnitt der Route.
Sie balancierte sich aus, legte den linken Arm auf den Rücken und schwang den rechten im Rhythmus ihrer Schritte. Vor und zurück. Vor den Serpentinen holte sie mit den Beinen weit aus, beschleunigte und warf sich dann mit einem leisen Freudenschrei in die Haarnadelkurven. Bei jedem Cutback flog sie ein ganzes Stück die Wand hinauf, doch der Schwung hielt sie in perfekter Balance.
Dann hatte sie die Serpentinen hinter sich und kam zu einer Stelle, die mehr Aufmerksamkeit erforderte. Hier kreuzten sich mehrere Gänge wie in einem Labyrinth. Lacy bremste etwas ab, um die aufs Eis gesprühten Markierungen zu sehen. Zwar hatte sie sich die Abzweigungen genau eingeprägt, aber sie wollte kein Risiko eingehen.
Sie richtete ihre Helmlampe, deren Strahl vom Eis in dem dunklen Gang mit einem schimmernden Glühen reflektiert wurde. Die Wegzeichen – orangefarbene Pfeile – waren leicht auszumachen. Sie schienen selbst zu leuchten.
So schoss sie in den ersten der mit einem Pfeil versehenen Gänge, vorbei an Sackgassen und Abzweigungen, die in gefährliche Bereiche führten. Als sie in einen dieser unmarkierten Tunnel blickte, glaubte sie einen Schatten zu sehen, der sich tief in seinem Inneren bewegte. Im Vorbeigleiten riskierte sie einen Blick zurück, aber sie war schon zu weit weg. Außerdem war es der falsche Winkel und das Licht ihrer Lampe drang nicht durch die Finsternis der rasch zurückweichenden Tunnelöffnung.
Sie wandte sich wieder nach vorn, denn bei dem hohen Tempo musste sie sich auf den Weg konzentrieren. Aber auf einmal war sie unruhig und verschreckt, als hätte jemand sie mit Eiswasser übergossen. Aus Zufriedenheit und Freude war Anspannung und Nervosität geworden.
Entschlossen versuchte sie, sich davon zu befreien. »Das waren doch bloß Schatten, pure Einbildung«, sagte sie laut und hoffte, der Klang ihrer eigenen Stimme würde sie beruhigen. Doch stattdessen gruselte sie sich noch viel mehr, als sie das Echo ihrer Worte hörte. Sie wirkten unnatürlich laut.
Auf einmal wurde ihr unangenehm bewusst, wie allein sie hier unten war.
Erneut ein Geräusch, das sie zusammenfahren ließ. Wahrscheinlich nur ein Stückchen Eis, das sich gelöst hatte und irgendwo einen Tunnel hinunterrutschte. Trotzdem bekam sie eine dicke Gänsehaut. Sie reckte den Hals und sah sich noch einmal um. Im Schein der Lampe sah sie lediglich einen leeren Gang, aber sie konnte auch nur zwanzig Meter weit sehen, da der Tunnel hinter ihr eine Biegung machte.
Sie wandte sich wieder nach vorn. Um ein Haar hätte sie eine orangefarbene Markierung verpasst; sie musste abbremsen und mit dem linken Fuß die Drehung forcieren, um noch die Kurve in den richtigen Gang zu schaffen.
Ihre Beine zitterten. Vor lauter Angst begannen ihre Muskeln vorzeitig zu ermüden. Dann merkte sie plötzlich, dass sie eigentlich schon einen Tunnel vorher hätte abbiegen sollen. Diesen hier hatte sie markiert, weil er in eine fast einen Kilometer lange Schleife führte. Der andere Gang war eine Abkürzung, die ihr für ihren normalen Sechseinhalbkilometerlauf zu kurz gewesen war. Aber heute wollte sie nur so schnell wie möglich heraus aus diesem Labyrinth, sie wollte Menschen sehen, sich wieder in Connors Arme fallen lassen.
So schnell sie konnte, raste sie die Schleife entlang. Nachdem sie eine ganze Minute allein mit ihren Gedanken gewesen war, wurde ihr klar, wie albern sie sich benahm. Es gab keine verdächtigen Schatten und Geräusche mehr, nur das Zischen ihrer Kufen über das Eis.
Sie kam aus der Schleife heraus. Nun führte der Gang leicht bergauf und die Fahrt wurde etwas anstrengender. Aber sie hatte Schwung gesammelt und das Eis war hier ausgesprochen glatt. Ihre Beine spielten sich auf einen vertrauten Rhythmus ein und so glitt sie in hohem Tempo weiter in Richtung Heimat.
Sie musste lachen. Wovor hatte sie denn eigentlich solche Angst? Was konnte da unten schon sein? Vielleicht hatte die Nacht mit Connor doch irgendwelche tief sitzenden Zweifel in ihr geweckt. Vielleicht hatte sie ein schlechtes Gewissen. Sie war Connors Frau schon bei vielen Festveranstaltungen in der Uni begegnet. Linda war nett, locker und herzlich. Sie verdiente es nicht,
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