Mission Arktis
spürte sie ein leichtes Unbehagen. Bevor sie der plötzlichen Nervosität nachgehen konnte, fiel ein großer Schatten über sie und sie zuckte heftig zusammen. Das war eins der Dinge, die sie am meisten an der Taubheit hasste. Wenn jemand sich ihr von hinten näherte, konnte sie es nicht hören.
Rasch drehte sie sich um und sah sich Connor MacFerran gegenüber, der ein verwirrtes Gesicht machte. »Haben Sie Lacy gesehen?«, fragte er.
»Miss Devlin?«
Er nickte.
Nachdenklich zog sie die Nase kraus. »Ich habe sie gesehen, als ich vorhin in den Kriechkeller gegangen bin. Sie hatte ihre Schlittschuhe dabei.« Da Amanda und die Geologiestudentin sich beide für Eisschnelllauf interessierten, hatten sie eine Weile geplaudert.
Connor sah auf seine Armbanduhr. »Sie hätte schon vor einer Stunde von ihrem Lauf zurück sein sollen. Wir wollten uns treffen … um … um noch ein paar Daten durchzugehen.«
»Ich hab sie nicht gesehen, seit wir uns da unten in den Eistunneln getrennt haben.«
Jetzt sah der Schotte ernsthaft besorgt aus.
»Glauben Sie, Lacy könnte sich dort unten verirrt haben?«, fragte Amanda.
»Ich geh lieber mal nachsehen. Ich kenne die Runde, die sie immer fährt.« Damit wandte er sich ab und ging davon, wie ein großer schwarzer Bär.
»Nehmen Sie ein paar Leute mit!«, rief sie ihm nach. »Und sagen Sie mir Bescheid, wenn Ihre Suche erfolglos bleibt.«
Er hob einen Arm, aber es war unmöglich zu erkennen, ob er Amandas Rat zur Kenntnis nahm oder nur abwinkte.
Sie starrte ihm nach. Auch sie fing an, sich Sorgen zu machen. Hoffentlich hatte die junge Frau sich nicht verletzt. Nach einer Weile zog sie den Reißverschluss ihres Anzugs herunter und machte sich wieder auf den Weg in ihr Zimmer. Da entdeckte sie an einem der Tische im Gemeinschaftsbereich Dr. Willig.
Er winkte sie zu sich. »Ich dachte, Sie wären schon weg«, sagte er, als sie näher kam.
»Meine Pläne haben sich geändert.«
»Nun, ich habe mich gerade mit Dr. Gustof unterhalten.« Oskar machte eine Handbewegung zu dem kanadischen Meteorologen, der mit ihm am Tisch saß. Sein norwegisches Erbe war Erik Gustof unschwer anzusehen. Jetzt wischte er sich die Sandwichkrümel aus seinem gepflegten Bart und nickte Amanda zu. »Er hat einige Daten von seinen außerhalb aufgestellten Geräten analysiert. Der bevorstehende Sturm entwickelt sich zu einem echten Blizzard. Er hat Windgeschwindigkeiten von über hundertzehn Stundenkilometern festgestellt.«
»Ein echter Dachabdecker, jawohl«, nickte Erik. »Wir werden hier eine Weile festsitzen.«
Amanda seufzte. Unwillkürlich musste sie an die Warnung der Zivilisten denken. Irgendeine Gefahr kommt auf uns zu. Anscheinend wussten diese Leute, wovon sie sprachen, aber sie spürte, dass sie nicht das Wetter gemeint hatten.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, erkundigte sich Dr. Willig.
»Im Augenblick schon«, antwortete sie benommen. »Im Augenblick schon.«
10:05 Uhr
Driftstation Omega
Jenny zog ihren Anorak über und beäugte die Wachen. Um sie herum schlüpften auch die anderen in warme Sachen, die ihnen zum Teil vom Basispersonal zur Verfügung gestellt worden waren: Handschuhe, Schals, Pullover. Matt stülpte sich eine geborgte Wollmütze über die Ohren, denn seine geflickte grüne Armeejacke hatte keine Kapuze. Mit seiner typischen Sturheit hatte er sich geweigert, die Jacke gegen einen NavyParka auszutauschen. Jenny wusste, dass ihr Exmann sich nie von diesem verschlissenen Teil seiner Vergangenheit trennen würde.
»Sie werden auch Sonnenbrillen brauchen«, meinte Lieutenant Commander Sewell.
»Ich habe keine«, entgegnete Craig, während er seine Kameras und seine persönlichen Habseligkeiten schulterte. Einer der Unteroffiziere hatte die Sachen vorhin aus der Twin Otter geholt.
Vor einer halben Stunde war Sewell mit neuen Anweisungen zurückgekehrt. Er hatte endlich die Leiterin der Driftstation Omega erreicht, die Tochter des Admirals, der die hier stationierte NavyCrew befehligte. Anscheinend ein hübsches Stückchen Vetternwirtschaft. Trotzdem hatte Jenny sich nicht beschwert. Dr. Reynolds hat te ihnen erlaubt, zur russischen Basis zu kommen. Sewell überreichte Craig eine Sonnenbrille aus seiner eigenen Tasche. Der Commander würde hier bleiben – zusammen mit einem Mitglied ihres eigenen Trupps. Jenny kniete sich hin und umarmte Bane zum Abschied. Der Wolfsmischling wedelte mit dem Schwanz und knabberte an ihrem Ohr. Sewell erlaubte ihr nicht, den Hund mitzunehmen.
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