Mission auf Leben und Tod
es nicht das Gesicht eines Attentäters. Es war das Gesicht eines geborenen Führers, eines Mannes, dem andere folgten. Harry fragte sich, wie Mack mit seiner neuen Rolle zurechtkommen würde, wenn er außerhalb des Gesetzes operierte und sich mit Präzision und Skrupellosigkeit seinem Ziel näherte.
Nach einigem Nachdenken kam er zu dem Schluss, dass es keinen Besseren gab, um die Werft zu retten. Es war Harrys Glücksnacht, und im Moment war es ihm scheißegal, ob es Mitternacht war; es wäre ihm sogar egal gewesen, wenn es vier Uhr morgens an Weihnachten gewesen wäre, das heißt, acht Glasen, Ende der Hundswache.
Er wandte sich an Mack und streckte ihm die Hand hin. »Wir brauchen keinen Vertrag. Dein Handschlag genügt.«
»Eine Frage noch«, sagte Mack. »Was passiert, wenn ich auf der Flucht von französischen Sicherheitskräften erschossen werde? Was geschieht dann mit Anne und Tommy?«
»Ich werde mich um alles kümmern. Die zweite Million gehört Anne. Soll ich dir einen Schuldschein ausstellen?«
»Nein.«
»Treffen wir uns morgen früh in meinem Büro, um die Sache mit den Pässen zu klären?«
»Beginn der Vormittagswache – acht Uhr.«
Harry Remson verspürte ein Hochgefühl. Irgendwie befand er sich mitten in einer militärischen Operation, die so geheim war, dass er das Gefühl hatte, sie wäre fast schon wieder legal – nun ja, fast legal. Aber in seiner Selbstgerechtigkeit war er davon überzeugt, das Richtige zu tun.
Sie gingen zur Tür, wo er Mack verabschiedete. Er sah dem Buick nach, der sich nahezu lautlos in Bewegung setzte und in Richtung Stadt abbog. Eine Weile lang stand er nur da, schüttelte den Kopf und sagte leise: »Großer Gott, was tun wir hier bloß?«
Es war sechs Uhr in der französischen Hafenstadt Marseille. Fast jeder, der im Umkreis des alten Hafens lebte, hatte in irgendeiner Weise mit dem Meer zu tun. Fischkutter entluden ihren Fang; andere tankten auf, um sich aufs Auslaufen vorzubereiten. Die Küchenchefs der großen Jachten, die sich an den Anlegestellen reihten, waren damit beschäftigt, für Crew und Gäste das Frühstück zu bereiten.
Einer jedoch hatte nichts mit dem Meer zu tun. Er ging mit zielgerichteten Schritten den Quai des Belges in nördliche Richtung hinauf, an einem Fischmarkt vorbei, und hatte dabei eine Miene wie ein liebeskranker Bluthund. Raul Declerc war alles andere als glücklich. Der Grund dafür war sehr einfach: Er hatte von Mr. Morrison, dem Mann, der anscheinend zwei Millionen Dollar hatte, nichts mehr gehört. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was mit seinem so verlässlich wirkenden neuen Kunden geschehen war. Die Auszahlung des Vorschusses war in Genf ohne Probleme über die Bühne gegangen. Mittlerweile aber hatte Morrison zwei Anruftermine verstreichen lassen. Monsieur Declerc hatte ein flaues Gefühl im Magen, ein Gefühl der Leere, das – so sein beunruhigendes Gespür – sich bald auf seine Brieftasche ausweiten könnte.
Vor allem war er wütend auf sich selbst. Er hätte niemals versuchen sollen, jemandem wie Morrison eine zusätzliche Million aus den Rippen zu leiern. Selbst dessen Stimme hatte etwas Gefährliches an sich gehabt. In diesem Bruchteil einer Sekunde, als er die zusätzliche Summe vorgeschlagen hatte und von der ursprünglichen Vereinbarung abgewichen war, hatte er gewusst, dass er zu weit gegangen war. Morrison war wie eine angreifende Kobra auf ihn losgegangen – Völlig zwecklos, Kumpel . Die Worte hatte er nicht vergessen. Jetzt war Morrison verschwunden und hatte seine verfluchten zwei Millionen mitgenommen. Und er, Raul Declerc, hatte vermutlich seine Leute, die Hubschrauber und alles andere umsonst durch halb Frankreich geschickt. »Scheiße«, stieß er hervor.
Am Schlimmsten war aber, dass er keinerlei Anhaltspunkte hatte, wer dieser Morrison war, wen er repräsentierte, woher er angerufen hatte, außer, dass er sich höchstwahrscheinlich irgendwo auf diesem Planeten aufhielt. »Scheiße«, wiederholte er.
In seinem Gewerbe gab es bei Deals, die schiefgelaufen waren, allerdings häufig ein Abfallprodukt: kostbare Informationen, Einzelheiten über gewisse Pläne. In diesem Fall lag jedoch so wenig vor, was man als gesicherte Tatsachen bezeichnen konnte, dass er fürchtete, am Ende mit leeren Händen dazustehen. Mit nichts, was er verkaufen oder eintauschen konnte.
Mit unvermindert schnellen Schritten verließ er den Alten Hafen und ging in Richtung Place des Moulins. Er wollte früh am
Weitere Kostenlose Bücher