Mission auf Leben und Tod
aufgebracht wurde. Aber er sagte nur leise: »Ja, danke Gott. Ist es in Ordnung, wenn du ohne mich ins Krankenhaus fährst, oder soll ich mitkommen?«
»Nein, bleib du hier. Ich kenne das Krankenhaus mittlerweile in- und auswendig. Hier sind die Kontodaten, die du haben wolltest. Ich trinke noch aus, dann mach ich mich auf den Weg. Es sollte aber nicht so schlimm werden. Dr. Ryan sagt, Tommy müsste es wieder sehr viel besser gehen. Sie können im Krankenhaus zwar nicht alles, aber eine Übelkeit lindern, das schaffen sie gerade noch.«
So machten sich beide auf den Weg, Anne ins Krankenhaus und Mack wieder zur Werft, um Harry die Angaben zum Schweizer Bankkonto zu geben. Er versprach, den Betrag sofort zu überweisen.
Der nächste Teil erforderte einiges an Willenskraft. Mack ging nach Hause und zog Kampfstiefel und Shorts an. Maine besaß keine langen Sandstrände wie Coronado, weshalb er sich für die Küstenstraße entschied, wo er im gemächlichen Joggingtempo anfing und sich dann langsam steigerte. Die ersten eineinhalb Kilometer waren einfach, dann aber machte sich das bequeme Leben der vergangenen Woche bemerkbar. Er spürte einen dumpfen Schmerz in den Oberschenkeln, er fühlte sich kurzatmig. Er kannte die Zeichen. Er hatte nachgelassen – er war nicht mehr auf dem Fitnesslevel, das von einem SEAL-Commander, der einige Male auch aus Ausbilder fungiert hatte, erwartet wurde. Seine Schritte wurden schwerer, und er löste es, wie er alles löste: indem er sich noch mehr anstrengte, sich durch die Schmerzen kämpfte und sich auf jeden Schritt konzentrierte, als wäre es der härteste Schritt, den er jemals getan hatte.
Vor einer kleinen Bucht stieg der Weg etwas an, und hier gab Mack dann richtig Gas, beschleunigte die Schritte, trieb sich an und mobilisierte alle Kräfte. Mit aller Kraft und Entschlossenheit, die in ihm steckte – und das war eine Menge –, kämpfte er sich den Hügel hinauf. Selbst in seiner gegenwärtigen Verfassung wäre er mit großem Abstand vor der Ausbildungsgruppe in Coronado ins Ziel gekommen. Aber das war nicht das Level, auf das er abzielte. Was er wollte, war das Fitnessniveau eines Superman, eines Berglöwen mit Muskeln dick wie Stahlseile. Er wollte in einer Form sein, wie sie sonst keiner hatte, er wollte der Beste sein. Der Beste. So wie immer, seitdem er in der Kampfschwimmerausbildung, seinem ersten Jahr als SEAL, der Beste in seiner Einheit gewesen war.
Oben auf dem Hügelkamm sah er nach rechts hinaus zur Kennebec-Bucht, die an dem windstillen Julitag glitzernd vor ihm lag. Kurz überlegte er, ob er anhalten und das Meer betrachten sollte, das Meer seiner Jugend, wo er Segeln, Angeln und Schwimmen gelernt hatte. Aber er verwarf den Gedanken, biss die Zähne zusammen und machte sich auf den Weg den Berg hinunter. Wieder beschleunigte er, erreichte fast Höchstgeschwindigkeit, versuchte nicht allzu sehr zu keuchen, versuchte das Gleichgewicht zu halten und wusste, je schneller er wurde, umso leichter war es. Dann war er unten in der Bucht und verlangsamte etwas das Tempo.
Mittlerweile hatte er drei Kilometer hinter sich, und noch war er nicht so weit, dass er die zweite Luft nötig hatte. Sein Atem ging schwer, er fühlte sich müde und alles andere als entspannt, wie er es sonst war, wenn er sich anstrengte. Aber er lief weiter, bis am Ende der Bucht das Gelände wieder anstieg und sich ein steiler Hügel vor ihm auftat, den er und alle anderen seiner Schulkameraden gehasst hatten, wenn sie ihn mit dem Fahrrad hochfahren mussten. Dead Man’s Hill wurde er genannt, da vor 200 Jahren ein Schiff an seinem Granitfelsen auf Grund gelaufen und gestrandet war. Während die Besatzung das Schiff verlassen wollte, war ein Pulverfass explodiert und hatte die gesamte Mannschaft in den Tod gerissen. Die Leichen waren an Land gebracht worden, und die ortsansässigen Schreiner hatten am Berg Särge gezimmert, damit die Toten zum Friedhof gebracht werden konnten.
Etwas unwohl betrachtete Mack den Dead Man’s Hill. Er war schnell gelaufen, er war außer Atem. Als er sich allerdings an den Aufstieg machte, grummelte er nur: »Los, Mack, mach schon!« Er gab alles, seine Arme pumpten, die Kampfstiefel knallten auf den Teer. Plötzlich sah er vor sich einen Radfahrer in professioneller Radfahrerhose, der dennoch schwer mit dem Aufstieg zu kämpfen hatte. Und Mack stellte sich vor, der Radfahrer sei Obama bin Laden, der vor ihm abhauen wollte. Die Wut, die er damit weckte, trieb ihn
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