Mission Vendetta: Thriller (German Edition)
aufgefallen: Mitte dreißig, durchschnittliche Statur, kaum über einen Meter achtzig. Sein kurzes, dunkles Haar war schweißnass; er hielt den Kopf gesenkt und den Blick auf den Weg vor sich gerichtet.
Irgendein anonymer Bürokrat, irgendein Angestellter der Administration, der gegen Bierbauch und zu hohen Blutdruck ankämpfte. Die Sorte Mann, der man auf den Straßen dauernd begegnete und die man sofort wieder vergaß.
Jenen jedoch, die sich die Mühe machten, genauer hinzusehen, zeigte sich ein anderes Bild. Obwohl der Mann müde war, bewegte er sich selbstsicher und zielstrebig, behielt ein stetiges, raumgreifendes Tempo bei, lief in einem Rhythmus, der jedem Soldaten überall auf der Welt bekannt vorgekommen wäre.
Der Blick seiner Augen, der scheinbar gelassen auf den schlammigen Boden vor ihm gerichtet war, zuckte häufig nach links und nach rechts. Der Jogger nahm seine Umgebung rasch auf und vergewisserte sich permanent, was um ihn herum vorging.
Jeder, der nur ein wenig Bescheid wusste, hätte erkannt, dass dieser Mann kein Schreibtischhengst war.
Ryan Drake versuchte das Brennen in seiner Lunge zu ignorieren, ebenso den Schmerz in seinen Beinen, und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Er las die Zeit ab und verglich sie mit den ihm bekannten Landschaftspunkten um ihn herum. Er kannte diese Strecke genau und wusste, wo er zu jedem gegebenen Zeitpunkt sein sollte. Und da war er heute nicht.
Er hing zurück.
»Mist«, murmelte er und strengte sich noch mehr an, um die verlorene Zeit aufzuholen. Er achtete nicht auf die Erschöpfung, die ihn überkam, kümmerte sich nicht um sein heftig pochendes Herz oder das Brennen in seinen Muskeln. Nichts davon spielte eine Rolle. Fest auf sein Ziel fixiert, trabte er entschlossen weiter.
Er hatte irgendwo gelesen, dass Laufen angeblich Endorphine und andere Wohlfühlchemikalien im Gehirn freisetzte. Ihm war das bisher allerdings noch nie passiert. Vielleicht war sein Hirn einfach nicht so vernetzt.
Jedenfalls kam er üblicherweise von seinen morgendlichen Ausflügen erschöpft, verschwitzt und häufig von einem Regenschauer durchnässt nach Hause. Neben dem feuchten Klima in D.C. wirkte England, wo er groß geworden war, fast schon tropisch.
Er verließ den ruhigen Park und lief über die Maryland Avenue direkt auf die hohe Kuppel des Kapitols zu. Fast alle großen Geschäftsstraßen in D.C. liefen an diesem Gebäude zusammen wie die Sprossen eines gigantischen Rades. Solange man das Kapitol sehen konnte, war es fast unmöglich, sich in der Stadt zu verlaufen.
Sonntagmorgens um fünf Uhr dreißig gab es nicht viel Verkehr auf den Straßen. Ein paar Lieferwagen machten ihre Runde, und einige arme Schweine waren unterwegs zu ihrer Arbeit in irgendeinem Büro oder einer Regierungsdienststelle. Die meisten wirkten noch ziemlich übernächtigt und umklammerten ihre Styroporbecher mit Kaffee, als hinge ihr Leben davon ab.
Das konnte er gut nachvollziehen.
Drake lief am Kapitol vorbei nach Westen, durch den Henry Park zum Washington Monument.
Der riesige, von Bodenscheinwerfern angestrahlte Marmorobelisk erhob sich strahlend weiß vor dem dämmrigen Hintergrund des frühmorgendlichen Himmels. Für viele Menschen war dieses Bauwerk ein Symbol Amerikas, ein unbeugsames Monument der Demokratie und aller Werte der westlichen Zivilisation. Für ihn bedeutete es, dass er mit seiner Runde fast fertig war.
Noch ein Stück weiter lag das Lincoln Memorial Building am Ende des Reflecting Pool, unmittelbar vor dem Potomac. Das war seine Ziellinie.
Er sammelte seine letzten Energiereserven und lief mit aller ihm verbliebenen Kraft an der Längsseite des Wasserbeckens vorbei.
Er krümmte sich fast vor Anstrengung, als er die fünfundachtzig Stufen zum Fundament des Obelisken hinaufstieg. Fünfundachtzig Stufen, von denen jede einzelne einen schmerzhaften Stich durch seine müden und wunden Muskeln schickte und seine ohnehin schon mageren Kraftreserven weiter aufzehrte.
Schließlich stolperte er auf das Fundament, atemlos und erschöpft, und umklammerte Halt suchend eine der Steinsäulen.
Er fühlte sich schlicht und einfach beschissen. Seine Muskeln schmerzten, seine Lunge brannte, und sein Kopf pochte bösartig. Immer noch nichts von diesen geheimnisvollen Endorphinen zu spüren, dachte er und grinste spöttisch. Aber das Lächeln erlosch rasch, als er einen Blick auf seine Uhr warf. Er war eine Minute langsamer gewesen als am Tag zuvor.
Als junger Soldat des Special
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