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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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von den Österreichern erwarten.
    Am nächsten Tag legte man mir Handschellen an und brachte mich zu einem Flugplatz, wo ich eine Douglas C-54 Skymaster bestieg, zusammen mit etlichen Navy-Soldaten, die zu Weib und Kind zurückkehrten. Wir flogen rund sieben Stunden lang nach Norden und landeten schließlich auf dem Luftwaffenstützpunkt Mitchell in Nassau County, New York, wo ich der Militärpolizei der US Army übergeben wurde. Am Hauptgebäude des Flugplatzes fiel mein Blick auf ein Schild, auf dem die in Mitchell stationierten Einheiten aufgelistet waren, daneben las ich
Welcome to the United States
und fühlte mich überhaupt nicht willkommen. Die Handschellen der Navy wurden gegen die der Army ausgetauscht, die ebenso unbequem waren, und dann stieß man mich wie einen flohverseuchten streunenden Hund in einen Gefängniswagen. Er war fensterlos, aber ich wusste, dass wir in westlicher Richtung unterwegs waren. Da wir an der Nordostküste gelandet waren, konnte unsere einsame Wagenkolonne nur nach Westen fahren. Einer der Militärpolizisten war mit einer Schrotflinte bewaffnet. Könnte hilfreich sein, falls wir auf Indianer oder Banditen trafen. Insgeheim hoffte ich aber, dass Meyer Lansky über meine missliche Lage beunruhigt war, vielleicht sogar so beunruhigt, dass er beschlossen hatte, etwas zu unternehmen. Lansky war nun mal ein umsichtiger Mensch, ein Arbeitgeber, der sich noch für seine Mitarbeiter einsetzte, im Guten wie im Bösen. Wie alle Spielernaturen ging er gern auf Nummer sicher. Und nichts ist so sicher wie eine Kugel in den Kopf.
    Neunzig Minuten später öffneten sich die Türen des Wagens und gaben den Blick auf eine Insel frei, auf der eine halbrunde Festung thronte. Die Festung war dreigeschossig, aus rotem Sandstein erbaut und etwa zwölf Meter hoch. Sie sah heruntergekommen und ziemlich hässlich aus und passte eher ins alte Berlin als nach New York. Jedenfalls bildete sie einen markanten Kontrast zu den wesentlich höheren Gebäuden an der Südspitze Manhattans, die sich glänzend am gegenüberliegenden Ufer erhoben, wie die Mauern eines neuzeitlichen Trojas. Es war das erste Mal, dass ich New York sah, und genau wie Tarzan war ich nicht so beeindruckt, wie ich es vielleicht hätte sein sollen. Aber wenn einem Handschellen ins Fleisch schneiden, ist es auch schwierig, seine Begeisterung zu zeigen.
    Die Militärpolizisten trieben mich auf einen gewölbten Eingang zu und übergaben mich der Obhut eines schwarzen Sergeants, der mich in einen schlüssellochförmigen Innenhof führte, in dem mindestens zweihundert Männer in grünen Overalls ziellos auf und ab gingen. Ein schiefer Ziegelturm, der die burgähnlichen Mauern überragte, grenzte rückseitig an Betongalerien, auf denen bewaffnete Wachmänner uns durch große Drahtglasscheiben beobachteten. Der Hof war nicht überdacht, und trotzdem staute sich der Geruch von Zigaretten, frisch gesägtem Holz und den ungewaschenen Körpern verurteilter amerikanischer Soldaten, die meine Ankunft mit einer Mischung aus Neugier und Feindseligkeit beobachteten.
    Es war wärmer als in Russland, und es gab keine Bilder von Stalin oder Lenin zu bewundern, aber für einen Moment fühlte ich mich nach Woronesch ins Lager Elf zurückversetzt. Dass New York nur anderthalb Kilometer entfernt lag, war unvorstellbar, und doch war mir, als könnte ich das Brutzeln von Hamburgern und Pommes frites förmlich hören, woraufhin sofort mein Magen knurrte. Damals im Lager Elf hatten wir ständig Hunger, jeden Tag von morgens bis abends. In anderen Gefängnissen spielt man Karten oder treibt Sport, um sich fit zu halten, aber in Woronesch war unser Hauptzeitvertreib, die Stunden und Minuten bis zur Essensausgabe zu zählen. Nicht, dass uns ein Gaumenschmaus erwartete: Wir bekamen nur Wassersuppe, Kascha und
chleb
 – ein dunkles, feuchtes, brotähnliches Zeug, das nach Heizöl schmeckte. Ich musterte die Männer in Castle Williams und stellte fest, dass es ihnen offensichtlich besser ging als uns damals. In ihren Augen sah ich noch Widerstand und Fluchtwillen aufblitzen. In einem sowjetischen Arbeitslager gab es nichts davon. Wenn ein
pleni
es je gewagt hätte, einen MWD -Wachmann ähnlich frech anzusehen, hätte er Prügel riskiert oder Schlimmeres. Und niemand wäre auf den Gedanken gekommen, zu fliehen: weil es nichts gab, wohin man hätte fliehen können.
    Der Sergeant zog mich in den schiefen Turm und eine stählerne Wendeltreppe hinauf in den ersten Stock der

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