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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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ziemlich harten Krieg hinter sich und so einiges getan, auf das er nicht stolz war. Wer hatte das nicht, aber auch danach war das Leben für ihn kein Zuckerschlecken gewesen. Ganz egal, wo er sich niederließ, irgendwie schaffte er es immer, in der Scheiße zu landen.
    «Ich wette, gleich erzählst du mir auch noch von deiner schweren Kindheit», sagte ich. «Bist du deshalb Bulle geworden? Um deinem Vater eins auszuwischen? Mit Autorität hast du wohl schon immer deine Probleme gehabt, was? Du hättest einfach in Havanna bleiben und tun sollen, was Leutnant Quevedo von dir verlangte, dann würdest du jetzt nicht hier versauern. Wenn ich’s recht überlege, wärst du viel besser dran, wenn du gar nicht erst Bulle geworden wärst. Hat nie so ganz geklappt, wenn du mal versucht hast, das Richtige zu tun, was, Gunther? Du hättest Verbrecher werden sollen, wie die meisten anderen. Dann wärst du auch etwas häufiger auf der Gewinnerseite gewesen.»
    «He, ich dachte, du wolltest mir die Selbstmordgedanken ausreden. Ich brauch keinen, der mich in die Verzweiflung treibt, das schaffe ich auch allein.»
    «Schon gut, schon gut. Hör mal, ist doch gar nicht so übel hier. Ein Zimmer mit Aussicht, drei Mahlzeiten am Tag, und so viel Ruhe und Frieden, wie ein Mann in deinem Alter braucht. Hier werden sogar die Teller gespült. Weißt du noch, die verrosteten Dosen, aus denen du in Russland essen musstest? Und der Brotdieb, an dessen Ermordung du beteiligt warst? Erzähl mir nicht, du hast ihn vergessen. Oder all die anderen Kameraden, die sie stapeln mussten wie Feuerholz, weil die Erde so hart gefroren war, dass man sie nicht begraben konnte? Vielleicht hast du ja auch vergessen, wie die Blauen uns gezwungen haben, bei eisigem Wind Kalk zu schaufeln. Den ganzen Tag hatten wir davon Nasenbluten. Ehrlich, im Vergleich zu Lager Elf ist das hier das Adlon.»
    «Du hast mich überzeugt. Wahrscheinlich bring ich mich doch nicht um. Ich würde bloß gern wissen, wie’s weitergeht.»
    Nach der langen Unterhaltung war ich für eine Weile still wie Hegel. Vielleicht mehrere Tage oder sogar wochenlang, ich weiß es nicht. Ich hatte mir keinen Knastkalender an die Wand gemalt, wie man das so kennt, immer sechs Striche nebeneinander und dann einen quer durch. Die sind seit dem Mann in der eisernen Maske nicht mehr in Mode. Außerdem vergeht die Zeit schneller, wenn man ihr Verstreichen einfach ignoriert. Und gerade als es mir endlich so vorkam, als sei es etwas ganz Normales, für immer wie ein Tier eingesperrt zu sein, kamen zwei fremde Männer mit Anzug und Hut in meine Zelle spaziert und eröffneten mir, dass ich nach Deutschland abgeschoben werden sollte. Einer von ihnen legte mir Handschellen an, und ehe ich wusste, wie mir geschah, war ich wieder unterwegs zum Flugplatz.
    Die Herren trugen edle Anzüge, Hosen mit akkuraten Bügelfalten und Schuhe, die so glänzend poliert waren wie ihre Fingernägel. Sie rauchten nicht – zumindest nicht im Dienst –, und sie dufteten schwach nach Eau de Cologne. An der goldenen Uhrkette des einen baumelte der Schlüssel für meine Handschellen. Der andere trug einen Siegelring, der schimmerte wie ein kühler weißer Burgunder in der Sonne. Sie waren aalglatt, tüchtig und wahrscheinlich ziemlich gnadenlos. Sie hatten gepflegte weiße Zähne, die mich daran erinnerten, dass ich vermutlich dringend zum Zahnarzt musste. Und sie mochten mich nicht. Überhaupt nicht. Genauer gesagt, sie hassten mich. Das merkte ich daran, dass sie jedes Mal, wenn sie in meine Richtung blickten, eine Grimasse schnitten oder irgendwas knurrten oder mit den Zähnen knirschten und mir überhaupt deutlich zu verstehen gaben, dass sie mir am liebsten an die Kehle springen wollten. Auf der Fahrt zum Flugplatz bellten sie zuerst nur; aber dann, nach etwa dreißig Minuten, als sie sich nicht mehr beherrschen konnten, fingen sie an zu beißen.
    «Scheiß-Nazi», sagte der eine.
    Ich schwieg.
    «Was ist los mit dir, du Nazischwein? Hat’s dir die Sprache verschlagen?»
    Ich schüttelte den Kopf. «Deutscher», sagte ich. «Aber kein Nazi. Nie gewesen.»
    «Ein und dasselbe, wenn du mich fragst», sagte der andere.
    «Außerdem», sagte der Erste, «warst du in der SS . Und damit gehörst du zu den schlimmsten mordenden Nazischweinen von allen. Denn damit bist du einer, dem es auch noch Spaß gemacht hat.»
    Was hätte es genützt, mich auf eine Diskussion einzulassen? Sie hatten ihr Urteil bereits gefällt: Lincoln-Mörder

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