Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
ersten Atombombe stattfanden, die wenig beneidenswerte Aufgabe hatte, die beiden Hälften einer Masse hochgradig radioaktiven Materials von der Größe einer Grapefruit zusammenzufügen. Die Sache nahm kein gutes Ende. Und genauso war es wohl auch mit Becker und Fagen. Deshalb sind sie von der Bildfläche verschwunden und haben ein paar Jahrzehnte gewartet, bis die Geigerzähler aufhörten zu ticken. Die beiden Hälften ihres Graphitkerns versteckten sie unter ihren Betten, und es war nicht abzusehen, ob sie jemals wieder zueinanderfinden würden.
Über Mistah Dan kann man denken, was man will – ich selbst neige dazu, ihn nicht nur als musikalische, sondern auch als literarische oder eher paraliterarische Gestalt zu begreifen –, Becker und Fagen sind auf jeden Fall erstklassige Musiker. Was ihre Solowerke in Abwesenheit von Steely Dan beweisen. Die haben mir zwar ebenfalls gefallen, aber ich suchte immer unwillkürlich nach dem Dritten, der jedoch nie in Erscheinung trat.
Nun ist Two Against Nature erschienen – was keinem Dan-Fan verborgen geblieben sein dürfte. Die Frage, die sich augenblicklich und mit peinlicher Dringlichkeit stellt, lautet: Ist Er wieder da? Haben sie Sein dunkles Ich wiederbelebt?
Ja, das haben sie.
Der Fremde ist wieder da, und von seinen zerschlissenen Straußenlederschuhen bröckelt roter Maui-Lehm auf den Studioteppich.
Two Against Nature ist in dieser Hinsicht fast schon eine unheimliche Erfahrung, als würde man die Ankunft einer Zeitmaschine miterleben. Aber einer, die aus keiner bestimmten Vergangenheit oder Zukunft stammt. Der Musik gelingt es wie eh und je, die schnöden Einteilungen des kulturellen Kalenderszu transzendieren. Als sei sie im Inneren der Zeitmaschine komponiert worden, in ihrer eigenen kleinen Zeitblase. Vermutlich liegt das am enzyklopädischen Musikgespür ihrer Schöpfer und deren Fähigkeit, den bewährten Steely-Dan-Studiosound scheinbar mühelos zu Collagen zu arrangieren, die klingen, als würde man sich durch Hunderte Schichten von handpoliertem akustischen Carnaubawachs hören, von denen jede einzelne einen anderen Aspekt der Komposition in den Vordergrund rückt. Aber genug davon, schließlich bin ich kein Musiker. Was ich sagen will: Für mich klingt es auf jeden Fall nach Steely Dan, und dieser Eindruck verstärkt sich, je öfter ich das Album höre.
Die DNA-Probe stimmt also überein. Die interessante Frage ist jedoch: Wie nahe haben Becker und Fagen die beiden Hälften des Graphitkerns zusammengebracht? Manchmal ziemlich nahe, wie mir scheint, und manchmal weniger. Mein Dan-Zähler fängt bei den Stücken »Jack of Speed« und »Cousin Dupree« am lautesten an zu ticken – zwei sehr unterschiedliche Songs. »Jack of Speed« ist jetzt schon ein Klassiker im Dan-Archiv des entspannt-psychedelischen Naturalismus, eine dieser brillanten, unscharfen Momentaufnahmen, auf die Becker und Fagen sich so gut verstehen. Jemand, den man einmal viel zu gut kannte, taucht dank der Dan-Magie einen Moment lang vor einem auf, um einen mit Little-Orphan-Annie -Augen anzublicken. »Cousin Dupree« ist ganz einfach ein Höhepunkt des skurrilen amerikanischen Songwritings – ein absolut komischer und zugleich gnadenloser Song.
Ich könnte noch mehr über die anderen Stücke schreiben, aber ich fühle mich schon fast wie ein Musikkritiker, was mir gar nicht behagt. Ich will nur sagen, dass mir dieses Album wirklich gut gefällt, okay?
Hoffentlich entschließen sich Becker und Fagen dazu, ihren dritten Mann noch öfter in Erscheinung treten zu lassen. Esgibt einfach niemanden, der es mit ihm aufnehmen kann, und wir brauchen ihn. Ich brauche ihn.
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Eine seltsame, halbbewusste Übung am Anfang meiner Karriere als Autor bestand darin, mir Musikkritiken in Zeitschriften wie Melody Maker durchzulesen und mir dabei vorzustellen, sie seien Rezensionen zu neuen Science-Fiction-Romanen. Später versuchte ich dann, mich an diese Romane oder den Eindruck, den ich in den Rezensionen von ihnen gewonnen hatte, zu erinnern und dies als Ausgangspunkt für mein Schreiben zu nehmen.
Bei der Musik von Steely Dan war dieser zusätzliche Schritt nie nötig, weil ich von Anfang an das Gefühl hatte, dass sie eine bemerkenswerte Form der narrativen Fiktion liefert. Dass die Band damals so beliebt war, erstaunte mich, weil das bei der Musik, die mir gefiel, normalerweise nicht der Fall war. Die meisten Zuhörer ließen sich, so vermute ich, von dem glänzenden Jazzzuckerguss der
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