Mit 50 hat man noch Träume
Johanna, der sie die Tiefkühltruhe noch bis unter den Rand gefüllt
hatte. Sie wohnte jetzt allein in ihrem Bungalow im Rodenkirchener Malerviertel,
und obwohl Johanna gerne aß, kochte sie nur ungern. Die Uni und ihre vielen Freunde
nahmen sie voll in Anspruch. Bea lächelte. Sollte sie ihre Jugend nur genießen.
Ein bisschen beneidete sie sie darum, vor allem um die Unbeschwertheit und die Neugier,
mit der sie dem Leben begegnete.
Ihre Gedanken
wanderten von ihrer Tochter zu Bruni. Sie hatte es von den Freundinnen wohl am leichtesten
gehabt, sich zu verabschieden. Von jeher ungebunden und kinderlos, brauchte sie
für ihre 2-Zimmer-Mietwohnung in Ehrenfeld nur einen Untermieter zu suchen, und
das hatte sich schnell erledigt. Eine Kollegin von der Uni war bei ihr eingezogen,
ebenfalls Dozentin, und so hatte Bruni die wichtigsten Schriften über feministische
Philosophie gesammelt, kistenweise Bücher gepackt und ganz zum Schluss einen kleinen
Koffer mit Klamotten zusammengestellt, dessen Inhalt sie nicht sehr interessierte.
Sie legte wenig Wert auf Kleidung, und noch weniger Wert legte sie auf Männer, die
sie mit hoch geschlossenen Rollis und schlabberigen Sweatshirts auf Abstand hielt.
Praktisch musste ihre Kleidung sein, ebenso praktisch die Haare, die sie ausschließlich
aus diesem Grunde igelkurz trug. Ihrer Mischlingshündin Sappho allerdings hatte
sie für jeden Abend ein ausschweifendes Leben auf dem Land versprochen, und Bea
fragte sich gerade, was das für Bruni wohl bedeuten mochte. Soweit sie wusste, betrachtete
sie ihr gemeinsames Projekt als Experiment und stellte sich vor, dass das schlichte
Leben sie zu geistigen Höhenflügen und neuen Artikeln inspirieren würde.
Caro war
da ganz anders als Bruni. Bei dem Gedanken an die Freundin, die sie schon seit der
Schulzeit kannte, wurde Bea warm ums Herz. Sie sah sie mit ihrem blonden, halblangen
Haar und ihren stahlblauen Augen vor sich, sie, die mit 50 die Blicke der Männer
immer noch auf sich zog.
Bea nahm
kurz die Hand vom Lenkrad, um sich eine Haarsträhne hinters Ohr zu klemmen. Caro
war eindeutig die Selbstbewussteste von ihnen allen, und auch die Spontanste. Sie
verdiente ihren Lebensunterhalt als selbständige Physiotherapeutin und hatte sich
von ihren Fußballern vom 1. FC Köln mit einem lachenden und einem weinenden
Auge verabschiedet. Sich und den Freundinnen hatte sie eine einjährige sexuelle
Abstinenz geschworen. Bea musste lächeln. Sie bezweifelte, dass Caro das durchhielt.
Normalerweise war sie nie länger als zwei Wochen solo. Vielleicht sollte sie mit
ihr eine Wette abschließen. Allerdings, Caro hatte gesagt, dass Männer sie in letzter
Zeit beunruhigend wenig interessierten und sie hatten sich gefragt, warum. Schließlich
waren sie übereingekommen, dass es eine Folge der Hormonumstellung sein musste,
die sich langsam bei ihnen bemerkbar machte. Bis auf die Fußballer und ihre 23-jährige
Tochter hatte sich Caro, soweit Bea wusste, in Köln von niemandem persönlich verabschiedet,
was typisch für sie war. Sie wollte sich nie zu eng binden, keine Verpflichtungen
eingehen, nicht abhängig sein, und als bewiese sich ihre Unabhängigkeit darin, meldete
sie sich manchmal bei ihren Freunden wochenlang nicht. Bea hatte selbst schon ihre
Erfahrungen damit gemacht. Für sie war Caro der Inbegriff des Schmetterlings: bunt
schillernd und einfach nicht zu halten.
Sie fuhr
in Altenahr ein, drosselte die Geschwindigkeit und passierte langsam das Rathaus,
das mit seinem grünen Anstrich irgendwie sympathisch wirkte. Jetzt war sie hier,
und ein neues Leben lag vor ihr. Unverrückbar. Ein historischer Moment. Ihr Herz
machte einen kleinen Sprung. Sie sah sich um und es war, als winke ihr die Zukunft
sonnig und unbeschwert aus allen Fenstern zu. Bea fuhr noch langsamer, und schließlich
steuerte sie ihr Cabrio geschickt durch die enge Toreinfahrt, die zum ›Ahrstübchen‹
führte, doch als sie auf den Hof kam, schrie niemand ›hurra‹. Stattdessen hockten
Bruni und Ulrike vor einem Schutthaufen auf ihren Koffern und blickten ihr schlecht
gelaunt entgegen.
3
Bea parkte den Wagen, fingerte den
Schlüssel vom Rückspiegel und sprang heraus. »Willkommen im Paradies!«, rief sie.
»Das Paradies
ist leider heute dicht«, antwortete Bruni griesgrämig und erhob sich von einer Bücherkiste.
»Warum hockt
ihr hier draußen? Was ist los?« Bea deutete auf den Steinberg.
»Der Eigentümer
hat mal kurz entschieden, den Hof neu zu
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