Mit 80 000 Fragen um die Welt
plötzlich auf.»
Ich greife nach einer Plastikflasche mit einer weißen Flüssigkeit. «Camel Milk» steht auf dem Kreppstreifen. Wieder nimmt es mir Mutter Matoke aus der Hand und spricht zu den Leuten, die immer noch andächtig dasitzen.
«Mit der Kamelmilch behandele ich Aids, denn das Kamel ist das einzige Tier, das sowohl in der Regenzeit als auch in der Trockenzeit überleben kann. Es ist bewiesen, dass Kamelmilch äußerst starke heilende Kräfte besitzt.»
Ich blicke etwas ratlos, und Mutter Matoke bittet mich in einen kleinen Nebenraum. Auf einer Pritsche schläft ein völlig ausgezehrter Mann. Seine Wangen sind eingefallen, seine Arme und Beine so dünn und zerbrechlich wie die morschen Äste eines alten Baumes. Unter einer Wolldecke siecht er vor sich hin.
«Caring for loved ones at home» steht auf einem Kalender an der Wand. Das Endstadium beginnt direkt nebenan.
«Dieser Patient ist HIV-positiv und sehr, sehr schwach. Ich habe ihn auf eine zehntägige Diät gesetzt.»
«Aber gehört er nicht in eine Klinik?»
«Gott bewahre. Weißt du, in welchem Zustand ich nach meiner Chemotherapie war? Die Chemo war nur wieder eine neue Krankheit. Ich würde nie wieder in eine Klinik gehen. Da pumpen sie dich mit Medikamenten voll, aber gesund wirst du davon nicht.»
Die Heilerin fragt, ob ich Aufnahmen in diesem Raum machen möchte. Ich lehne ab, und wir kehren zurück in das Cooking Centre, in dem die Menschen aus der Gemeinde nach wie vor brav auf ihren Campingstühlen verharren. Die Camcorder laufen, die Digitalkameras blitzen immer noch.
«Mutter Matoke, können Sie Aids heilen?»
«Lassen Sie es mich so sagen: Ich bin in der Lage, das Virus auf ein Minimum zu reduzieren. Viele meiner Aidspatienten gingen nach der Behandlung zurück ins Labor und ließen sich noch einmal testen. Das Ergebnis: Sie waren wieder HIV-negativ. Nach zwei, drei Monaten hatte ich die Menschen geheilt. Doch was passiert dann? Die Patienten gehen nach Hause und leben ihr altes Leben, aber haben nichts aus ihren Fehlern gelernt. Irgendwann kehren sie zurück zu mir und sind wieder HIV-positiv. Das liegt an der Moral!»
«Warum infizieren sich denn so viele Menschen?»
Jetzt faltet die Heilerin ihre Hände und blickt gen Himmel. Sie lächelt immer noch, doch nun bekommt sie etwas von einer Predigerin. «Der Grund ist Ungehorsam! Diese Menschen wenden sich nicht an Gott und bitten unseren Herrn nicht um Vergebung. Wir müssen um Vergebung für unsere Sünden bitten, sonst sind wir verloren! Aids ist eine Strafe. Aids ist eine Strafe Gottes!»
KAPITEL 15
«WER LIEGT VOR MADAGASKAR?»
GRÜSSE VOM ALTEN HEINRICH
«Wir warten auf Air Madagascar,
doch keiner lässt uns an Bord,
im Airport gibt’s nicht mal ein Glas Wasser,
und so langsam denke ich an Mord.»
Injedem afrikanischen Land scheint es eine Entsprechung für unsere bescheuerten Redewendungen «In der Ruhe liegt die Kraft» oder «Abwarten und Tee trinken» oder «Wer langsam geht, kommt auch ans Ziel» zu geben. «Pole, Pole!», sagen sie in Kenia auf Suaheli, und «Hakuna Matata!» heißt es in Südafrika. Auf Madagaskar sagt man in Malagasy «Mura, Mura!», und offenbar hat Air Madagascar diesen Ausspruch zum Firmenmotto erklärt.
Wir sind gestern Abend in der Hauptstadt Antananarivo gelandet und haben dort eine viel zu kurze Nacht verbracht, um den Sechs-Uhr-Flug nach Mahajanga zu erwischen, einem Küstenort im Norden der Insel. Jetzt ist es acht, wir sitzen immer noch in der Wartehalle, und niemand sagt, was Sache ist.
«Was ist denn mit dem Flug nach Mahajanga?»
«Mura, Mura!»
«Wie lange dauert es denn noch?»
«Mura, Mura!»
«Fliegen wir heute überhaupt noch ab?»
«Mura, Mura!»
Danke, Sie mich auch.
Schon am ersten Tag erfüllt Madagaskar jedes Klischee einer Bananenrepublik. Weil auf der Insel mal wieder geputscht wurde, dürfen wir das Hotel in Antananarivo nicht ohne Begleitung verlassen. Zu unsicher für einen Vazaha, einen weißen Mann. Am Flughafen erfindet dieDame am Schalter immer neue Gepäckgebühren. Hundertfünfzig Dollar für ein kleines Stativ. Als Thomas sich nach dem Chef erkundigt, gibt es diese Gebühren plötzlich nicht mehr. Und der Sicherheitscheck? Fällt heute Morgen aus. Oder besser: Es hat einfach keiner Lust darauf. Wir können völlig ungestört durch die Kontrollen schlurfen, und ich ärgere mich noch immer, dass ich mein Buschmesser und meine AK-47 nicht im Handgepäck habe. Beides könnte ich jetzt gut
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