Mit anderen Augen (German Edition)
spüre. Er sagt nichts, aber ich schätze, er weiß, worüber ich gerade nachdenke. Ich bin fünfunddreißig Jahre alt und alles, was ich im Leben vorzuweisen habe, sind Morde. Es hat mich nie gestört. Ich habe nie darüber nachgedacht. Bis jetzt. Denn ich bin dabei, noch einen Menschen zu diesem Leben zu verurteilen, das ich führe.
Nein! Das werde ich Jannik nicht antun. Niemals. Er muss zurück in sein Leben in Baltimore. Ich muss dafür sorgen, dass er wieder nach Hause zurückkehren kann.
„Ich bringe dir dein Leben zurück, Jannik, ich verspreche es.“
Jannik seufzt und schüttelt den Kopf, als ich ihn fragend ansehe. „Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass ich das vielleicht gar nicht will?“
Mit so einer Antwort habe ich nicht gerechnet, um ehrlich zu sein. „Warum solltest du es nicht wollen? Es ist dein Leben.“
„Mein Leben, ja, das ist wahr“, meint Jannik nickend und lehnt sich mit der Schulter in die Couchpolster. „Und genau deswegen kann ich damit auch machen, was ich will. Ich werde nur dann nach Baltimore zurückgehen, wenn du weiter als Killer arbeitest.“
Jetzt bin ich Derjenige, dem im ersten Augenblick die Worte fehlen. „Wie meinst du das?“
„So wie ich es sagte. Also? Willst du weiter als Killer arbeiten?“
Was hat er vor? Was soll das hier werden? Ich fühle mich auf einmal nicht mehr wohl neben ihm. „Was soll ich sonst machen?“
„Das war nicht meine Frage, Zack“, kontert er und sein Blick ist so ernst, dass es mir eiskalt den Rücken hinunterläuft. Ich will ihm diese Frage nicht beantworten.
„Ich kann nichts Anderes“, weiche ich deshalb erneut aus, aber das hält Jannik nicht auf.
„Das war nicht die Frage“, wiederholt er ruhig. „Willst du weiter als Killer arbeiten? Ja oder Nein? Nur das will ich wissen.“
Worauf immer er hinaus will, es ist nicht gut. „Ich...“
„Ja oder Nein, Zack?“
„Nein, verflucht noch mal, das will ich nicht!“, brülle ich ihn an und darüber sind wir beide gleichermaßen überrascht.
„Gut“, erklärt Jannik, noch bevor ich mich von meiner Überraschung erholt habe und sieht plötzlich sehr mit sich zufrieden aus.
„Gut?“, frage ich, obwohl mir bereits klar ist, dass mir die Antwort auf diese Frage überhaupt nicht gefallen wird.
Jannik nickt. „Ja, das ist gut, denn es bedeutet, Baltimore kann mich mal gernhaben.“
In der Sekunde fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Jetzt weiß ich, was Jannik vorhat und das darf er auf keinen Fall tun. Nicht heute, nicht morgen, niemals. „Tu' das nicht. Häng' dich nicht an mich, das darfst du nicht.“
„Zu spät.“
„Jannik...“
Sein Kopfschütteln lässt mich verstummen. „Ich dachte erst, es wäre ein Stockholm-Syndrom, das mich so sehr zu dir hinzieht, aber das ist es nicht. War es wahrscheinlich nie. Ich war vom ersten Augenblick an von dir fasziniert, Zack.“
„Hör' sofort damit auf!“
„Sonst was?“, kontert er trocken und das verschlägt mir die Sprache. „Ich weiß, dass du davon kein Wort hören willst, und das es vermutlich keine gute Idee ist, immerhin haben wir die Yakuza auf dem Hals, aber das ist meinen Gefühlen für dich völlig egal.“
„Jannik...“
„Du bist gefährlich, stur, und der komplizierteste Mensch, den ich je kennengelernt habe“, unterbricht er mich ruhig und sein Blick verrät mir, dass er jedes Wort so meint, wie er es sagt. „Ich hatte die erste Zeit höllische Angst vor dir, das gebe ich zu, aber das hat sich geändert. Du hast dich verändert, genau wie ich. Alles hat sich verändert, Zack.“
Schluss. Aus. Vorbei.
Ich stehe auf. „Dieses Gespräch ist beendet!“
„Du kannst weglaufen, Zachary, aber das wird nichts daran ändern, dass du schon seit Wochen immer von 'uns' redest, sobald es um unser Leben geht“, ruft er mir nach, als ich schnurstracks das Wohnzimmer verlasse und in mein Zimmer verschwinde.
X
Eine Woche brauche ich, um zu akzeptieren, dass Jannik Recht hat, und innerhalb dieser Woche verwandelt sich Montana und damit auch Whitefish in eine verschneite Winterlandschaft, die wunderbar zum Nachdenken geeignet ist, was ich beim Joggen ausgiebig tue. Zwischen mit Reif bedeckten Bäumen und auf knirschendem Schnee über den Waldweg zu laufen, während die Kälte den Atem vor meinem Gesicht zu sichtbaren Wolken werden lässt, beruhigt mich.
Ich genieße diese eine Stunde ganz für mich jeden Morgen, wenn es noch dunkel ist und mir abgesehen von ein
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