Mit anderen Augen (German Edition)
kann und will darüber aber derzeit nicht weiter nachdenken.
Ich schätze, ich habe einfach noch zuviel Angst davor.
Für Jannik scheint das in Ordnung zu sein. Er hat das Thema nicht mehr angeschnitten und ich gestehe, ich bin froh darüber. Stattdessen hat er angefangen das Blockhaus zu dekorieren. Auf meine Frage nach dem Grund dafür, hat er mich überrascht angesehen und gesagt, dass bald Weihnachten wäre. Das war für mich zwar kein Grund, aber da es ihm sichtlich Spaß machte, habe ich nichts weiter dazu gesagt. Es ist nicht so, dass mich die Dekoration stören würde. Bob findet sie toll. Mit der Lichterkette am Baum hat er zehn Minuten gespielt, dann war sie hinüber.
Ich habe gegrinst und mich zu Bob auf die Couch gesetzt, als Jannik dem Kater einen finsteren Blick zugeworfen hat, bevor er losgezogen ist, um Ersatz zu beschaffen.
Weihnachten ist mir suspekt. Ich habe es nach dem Tod von meiner Mutter nie mehr gefeiert und verstehe auch die ganze Aufregung nicht, die mittlerweile darum gemacht wird. Aber ich glaube, ich verstehe so vieles nicht, was für Leute wie Jannik zum Leben dazugehört. Er mag Weihnachten jedenfalls, das kann ich überall im Haus sehen, und ich werde mich hüten, ihm den Spaß daran zu verderben.
„Was findest du daran so besonders?“, frage ich ein paar Tage später, als Jannik ein Teelicht anzündet, das neben dem Weihnachtskranz auf dem Couchtisch steht, und Bob eins hinter die Ohren gibt, der sofort daran schnuppern will.
„An der Kerze hast du nichts zu suchen“, erklärt er dem Kater, der daraufhin beleidigt die Nase rümpft und auf den Sessel überwechselt, wo er sich zusammenrollt und uns auf der Couch aus schmalen Augen beobachtet. „Was meinst du?“, fragt Jannik mich dann und greift nach einem Buch, das auf dem Couchtisch liegt.
Er liest viel in letzter Zeit und im Augenblick hat er einen Roman über einen Serienmörder am Wickel. Eigentlich erstaunlich, wenn ich bedenke, dass er vor nicht allzu langer Zeit freiwillig kaum von seinem Computer wegzubekommen war.
Ich mache eine Bewegung mit der Hand, die den gesamten Raum umfasst. Die Dekoration, die Kerzen, die Plätzchen, die Jannik gekauft hat und die Bob ständig anknabbert und überall im Haus versteckt. Ich meine einfach alles hier, das ganze Drumherum, worum es bei den anstehenden Feiertagen geht.
„Weihnachten.“
Jannik schaut sich im Raum um, dann klappt er das Buch wieder zu und sieht mich fragend an. „Wann hast du das letzte Mal Weihnachten gefeiert?“
„Mit Dreizehn.“
Dazu fällt ihm nichts ein. Stattdessen sieht er mich fassungslos an und schüttelt schließlich den Kopf, bevor er seine Beine anzieht und sich seitlich zu mir hinsetzt. „Hat es dir gefallen?“
Eine gute Frage, die ich ihm nicht beantworten kann. Nach dem Tod meiner Mutter, habe ich die Vergangenheit weit von mir weggeschoben und mit ihr alles, was mein Leben als Kind ausmachte. „Ich weiß es nicht mehr.“
Jannik schüttelt erneut den Kopf. „Mit dreizehn warst du alt genug, dich daran zu erinnern. Denk' darüber nach, dann reden wir weiter.“
Ich sehe ihn ungläubig an, als er das Buch erneut aufschlägt und mir damit eindeutig zu verstehen gibt, dass er es ernst meint. Das ist neu. Mich einfach so abzuwürgen, hätte er sich vor ein paar Wochen nicht getraut. Dafür ist er nicht der Typ. Nein, ich muss mich korrigieren. Jannik war dafür nicht der Typ. Ich bin nicht der Einzige in unserem Haus, der dabei ist sich zu verändern.
„Nach dem Tod meiner Mutter, hatte Weihnachten für mich keine Bedeutung mehr. Daran hat sich bis heute nichts geändert.“
Warum ich ihm das überhaupt erzähle, weiß ich nicht, aber Jannik hat zugehört, denn er klappt das Buch zum zweiten Mal zu und schaut mich an. „Und was war davor?“
„Ich erinnere mich nicht mehr. Ich habe es weggeschoben, denn das Leben war nach ihrem Tod für mich vorbei.“
Mein Blick wandert zum Kamin. Dass wir einen haben, weiß ich, mir wird aber erst jetzt bewusst, dass wir ihn noch nie genutzt haben, seit wir in diesem Haus wohnen. Merkwürdig. Nicht, dass wir den Kamin nicht nutzen, sondern dass ich darüber nachdenke, es zu tun, weil das bestimmt zu den Dingen gehört, die Jannik gefallen.
So wie Weihnachten, das mir seit Jahren genauso egal ist, wie ein Großteil aller Dinge, die für normale Menschen wichtig sind.
Was für ein Leben führe ich eigentlich?
Gar keines, wird mir nach und nach bewusst, während ich Janniks Blick auf mir
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