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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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Kindes; sobald sie aber die Tasten der Kasse drückten oder etwas in ein weißes Tütchen packten, bewegten sie sich mit der ganzen Anmut von Frauenhänden - Händen, so dachte Henry, die zärtlich den Körper ihres Mannes berührten und die eines Tages mit ruhiger, fraulicher Kompetenz eine Windel wechseln, über eine fiebrige Stirn streichen oder ein Geschenk von der Zahnfee unter ein Kopfkissen stecken würden.
    Wenn er sie sah, wie sie sich die Brille höher auf die Nase schob und den Kopf über die Inventarliste beugte, dachte Henry bei sich, das ist das Rückgrat Amerikas, denn dies war die Zeit, als gerade die Hippies aufkamen, und wenn er in der Newsweek von Marihuana und »freier Liebe« las, befiel ihn manchmal ein Unbehagen, das ein Blick auf Denise beschwichtigen konnte. »Wir gehen unter wie das alte Rom«, verkündete Olive triumphierend. »Amerika ist ein riesiger stinkender Käse.« Aber Henry hielt fest an seinem Glauben, dass die Mäßigkeit den Sieg davontragen würde, und in der Apotheke verrichtete er seine tägliche Arbeit an der Seite eines Mädchens, das nur den einen Traum hatte, eines Tages mit ihrem Mann eine Familie zu gründen. »Emanzipation ist nichts für mich«, erklärte sie Henry. »Ich will ein Haus haben und Betten machen.« Gut, wenn er eine Tochter gehabt hätte (und wie gern hätte er eine Tochter gehabt!), dann hätte er Bedenken angemeldet. Er hätte gesagt: In Ordnung, mach Betten, aber sieh zu, dass du trotzdem noch deinen Kopf benutzt. Aber Denise war nicht seine Tochter, und so sagte er ihr, Hausfrau und Mutter zu sein sei mit die vornehmste Bestimmung überhaupt - und empfand undeutlich, wie befreiend es war, einen Menschen zu mögen, in dem nicht das eigene Blut floss.
    Er liebte ihre Arglosigkeit, er liebte die Unverdorbenheit ihrer Träume, aber das hatte selbstredend nichts mit Verliebtheit
zu tun. Im Gegenteil, ihre natürliche Zurückhaltung ließ sein Verlangen nach Olive mit neuer Heftigkeit auflodern. Olives scharfe Zunge, ihre vollen Brüste, ihr aufbrausendes Temperament und ihr unvermitteltes, tiefes Lachen entfesselten in ihm einen ungekannten Andrang fast schmerzhafter Lust, und nicht Denise war es, die ihm bei seiner nächtlichen Verausgabung manchmal vor Augen stand, sondern merkwürdigerweise ihr starker junger Ehemann - die Wildheit des jungen Mannes in diesem Moment animalischer Besitznahme -, und dann erfasste Henry Kitteridge sekundenlang eine unglaubliche Raserei, als wäre er in diesem Akt ehelicher Vereinigung eins mit allen Männern, die mit der Gesamtheit aller Frauen eins wurden, in denen, moosig und dunkel, das Geheimnis der Erde verborgen lag.
    »Du meine Güte«, sagte Olive, wenn er sich von ihr herunterwälzte.
     
    Henry Thibodeau hatte im College Football gespielt, Henry Kitteridge ebenfalls. »War das nicht das Größte überhaupt?«, fragte der junge Henry ihn eines Tages. Er war früh gekommen, um Denise abzuholen, und stand im Laden. »Das Gejohle von der Tribüne zu hören, und dann kommt dieser Pass direkt auf dich zu, und du weißt, du kriegst ihn? Mann, das fand ich so was von klasse.« Er grinste, und sein klares Gesicht schien ein gebrochenes Licht abzustrahlen. »So was von klasse.«
    »Ich fürchte, ich war längst nicht so gut wie Sie«, sagte Henry Kitteridge. Er war gut im Laufen gewesen, im Ausweichen, aber er war nicht aggressiv genug, um ein wirklich guter Spieler zu sein. Es beschämte ihn, daran zu denken, wie viel Angst er bei jedem Spiel gehabt hatte. Er war fast froh gewesen, als es mit seinen Noten bergab ging und er aufhören musste.

    »Ach, so gut war ich gar nicht«, sagte Henry Thibodeau und fuhr sich mit seiner kräftigen Hand über den Kopf. »Ich hab einfach nur gern gespielt.«
    »Er war gut«, sagte Denise, während sie ihren Mantel anzog. »Er war sogar richtig gut. Die Cheerleader haben ihn mit Namen angefeuert.« Und scheu, voller Stolz, intonierte sie: »Let’s go, Thibodeau, let’s go.«
    Schon auf dem Weg zur Tür sagte Henry Thibodeau: »Jetzt müssen wir Sie und Olive aber endlich mal zu uns einladen.«
    »Ach, macht euch da gar keine Gedanken.«
    Denise hatte Olive mit ihrer kleinen, ordentlichen Schrift ein Dankeskärtchen geschrieben. Olive hatte es überflogen, es über den Tisch zu Henry segeln lassen. »Die Schrift ist genauso mäuschenhaft wie sie selbst«, hatte Olive gesagt. »Sie ist das farbloseste Geschöpf, das ich je gesehen habe. Wenn jemand dermaßen blass ist, muss er da auch

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